Donnerstag, 1. Oktober 2015

Die Sache mit der Konsequenz

Ich habe ja das Gefühl, dass "Konsequenz" DAS Erziehungsdogma der letzten Jahre ist. Jeder spricht davon (ähnlich wie von "Bindung") - und trotzdem kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass nicht alle vom selben reden.
In meiner Arbeit in den Familien höre ich oft: "Ich bin aber doch konsequent und trotzdem klappt es nicht. Ich schicke ihn immer in sein Zimmer." oder "Wenn die Schule sich meldet, dass ewtas fehlt, kann Sie ihr Taschengeld vergessen, da sind wir ganz konsequent."
Klingt im ersten Moment ja tatsächlich wahnsinnig konsequent, aber ist es das wirklich?
Ist es wirklich konsequent, auf X verschiedene Verhaltensweisen des Kindes starr mit einer "Konsequenz" zu reagieren? Oder ist das vielmehr einfallslos - oder auch hilflos?
Viele haben noch im Kopf "Konsequenz muss weh tun, sonst lernt man nicht draus." Ich glaube vielmehr, Konsequenz muss SPÜRBAR sein - wie auch immer. Und je natürlicher sie ist, desto mehr lernt man daraus.
Klassisches Beispiel: Wenn ein Kind seine Jacke nicht anziehen will, obwohl ich ihm 100 Mal erklärt habe, dass es kalt ist, kann ich es ins Zimmer schicken. Oder ich kann es mit raus nehmen und es stellt fest, es ist kalt. Woraus lernt es wohl eher, beim nächsten Mal nicht mehr über die Jacke zu diskutieren? Und klar: Je nachdem wie alt das Kind ist habe ich natürlich eine Verantwortung dafür, dass es wetteradäquat gekleidet ist. Dann nehme ich die Jacke halt mit und hänge sie im Kindergarten an den Haken.
Manchmal mag auch das Ins-Zimmer-Schicken eine richtige Reaktion sein. Wenn mein Sohn meint, er muss sich am Esstisch benehmen, wie ein kleines Schwein, dann schmeiße ich ihn irgendwann auch raus. Allerdings nicht mit dem Hintergedanken, dass er es dann lernt, weil ich ihn rausschicke, sondern mit dem Hintergedanken, dass ich mich fürchterlich aufregen muss, wenn ich ihm noch länger dabei zusehen muss... Und das ist genau der Punkt: Manchmal muss man sich selbst reflektieren, mit welcher Absicht und Motivation man etwas macht. Wem hilft es? Warum tue ich etwas? Und wenn man ganz ehrlich ist, geht es dabei nicht immer ums Lernen des Kindes....

Ihr seht schon, das mit der Konsequenz ist gar nicht so einfach. Weil es gar nicht einfach ist, es in Worte zu fassen. Denn das, was eigentlich dahinter steckt ist eine Haltung. Da gehört dazu, dass man klar ist, dass man Grenzen wahrt (die eigenen und die des Kindes) und dem Kind Grenzen gibt - und doch gleichzeitig nicht starr wird, sondern flexibel bleibt. Es gehört auch dazu, dass man Fehler zulässt und nicht in die Strafspirale (wenn ein erzieherisches Mittel nicht greift muss ich mehr davon machen, weil es anscheinend noch nicht ausgereicht hat) einsteigt. Es gehört dazu, dass ein Kind weiß, was es zu erwarten hat, wenn es etwas tut oder eben auch nicht tut - und dennoch dem Kind Entscheidungsfreiheiten eingeräumt werden. Und es gehört dazu die Bereitschaft, immer wieder neue Wege auszuprobieren. Und es setzt voraus, dass ich tatsächlich mit meinem Kind in Beziehung gehe. Dass ich bereit bin, manche Kämpfe auszufechten, aber nicht auf jedes Kampfangebot eingehe (das ist der Punkt, der mir zugegebenermaßen am Schwersten fällt). Und wie das bei Kämpfen halt so ist: Man geht nicht aus jedem Kampf als Sieger hervor... Dann muss man sich überlegen, was man beim nächsten Mal anders machen kann (und vielleicht auch, wann man beim nächsten Mal etwas anders machen kann...)
Das alles - und mit Sicherheit noch ganz vieles mehr, das mir jetzt nicht einfällt - gehört dazu. Eine wirkliche Definition ist gar nicht einfach. Dagegen ist es relativ leicht zu sagen, was es eben nicht ist:

Konsequenz ist nicht

  • das Erschaffen eines starren und unveränderbaren Regelkonstruktes. Das Leben verändert sich, Heute ist anders als gestern war oder morgen sein wird. Von fast allen Regeln muss es auch mal Ausnahmen geben dürfen. Es muss nur klar sein, was die Regel und was die Ausnahme ist.
  • das Anwenden immer der selben Reaktion auf jegliches Verhalten. "Konsequent" heißt nicht umsonst "folgerichtig". Folgerichtig impliziert, dass sich etwas als logische Folge zu etwas anderem ergibt.
  • der Zwang, immer und überall konsequent zu sein. Wie gesagt: Es darf Ausnahmen geben. 
  • die Verpflichtung, alles zu regeln und zu ahnden. Man sollte sich genau überlegen, welche Dinge man tatsächlich regeln muss (da dann aber auch bereit sein, die Einhaltung zu verlangen).
  • ein Immer-mehr an Strafe, wenn  etwas nicht funktioniert, sondern eher die Bereitschaft, mal etwas anderes zu probieren.
Ganz besonders wichtig ist, dass man über das "konsequent sein" das Leben nicht vergisst! Gönnt Euch auch eine Prise Inkonsequenz in Eurem Leben. Sowohl bei Euch selbst als auch im Umgang mit Euren Kindern.

"Vollkommen konsequent vermag ohne Schaden nur ein Wesen zu handeln, welches vollkommen weise und heilig ist." Wilhelm Roscher