Donnerstag, 22. Dezember 2016

Das gute alte christliche Abendland

Momentan habe ich ja manchmal eher das Gefühl mit Abend hat das nichts mehr zu tun. Eher mit tiefschwarzer Nacht.
Wo sind denn bitteschön diese Werte, auf die wir uns alle berufen und die wir so unheimlich vor "den anderen" schützen müssen? Für die wir die Grenzen schließen müssen, weil wir "Gutmenschen" sonst von den "Asylschmarotzern""überrannt" werden.
Ganz schön viele Gänsefüßchen in einem Satz. Aber man kommt ja praktisch aus dem Gänsefüßeln nicht mehr raus. Geradezu übermächtig ist das Bedürfnis, das Leben und die Vorgänge in der Welt wieder in eine Ordnung zu bringen. Auch wenn es heißt, alles in Gedankenschubladen zu pressen. Schubladen wie "Islamisten", "Asylanten", "Gutmenschen", "Nazis", .... 
Leider ist das Leben selten so einfach. Jeder, der schon mal versucht hat, seinen Schrank nach Farben zu sortieren kommt spätestens beim ersten Karohemd oder beim Blockstreifenshirt unweigerlich an das Kernproblem: zu welcher Farbe gehört es denn nun? 
Warum glauben wir aber, das etwas, was schon bei T-Shirts nicht gelingt ausgerechnet bei Menschen funktioniert? 
Nehmen wir mal die Schublade "Asylant". Wie kann ich Menschen aus völlig verschiedenen kulturellen und geographischen Herkunftsbereichen in einen Sack packen? Bringt das wirklich Ordnung? Oder ist es viel mehr ein "Deckel drauf und nicht mehr sehen müssen"? 
Genau dieses "nicht mehr sehen wollen" widerspricht aber den christlichen Grundwerten. Denn wenn wir das Christentum ernst nehmen, dann fordert es uns ja gerade dazu auf: Zu sehen. Nicht die Augen zu verschließen vor dem Elend der Welt sondern zu sehen und zu helfen wo es uns möglich ist. Zu erkennen, was Richtig und was Falsch ist. Nicht nach dem ersten Schein zu urteilen, sondern dahinter zu sehen. 
Jeder kennt die Geschichte vom barmherzigen Samariter. Wir erinnern uns: Zwei gingen vorüber, darunter ein Priester, also einer, der es eigentlich besser wissen sollte. Und einer hilft. Einer, von dem man es eigentlich nicht erwartet hätte, der auch im Grunde keine Veranlassung hat, dem Menschen, der da liegt, zu helfen. Außer, dass da ein Mensch liegt, der Hilfe benötigt.
Jeder von uns hat jeden Tag die Wahl, wer in diesem Gleichnis er sein will. Priester, Levit oder Samariter?
Sind wir derjenige, der vorübergeht, wegsieht und sich einredet, aus diesen oder jenen Gründen nicht helfen zu können oder zu müssen oder sind wir der, der hilft, egal, wer da vor ihm liegt?
Ich höre jetzt schon wieder einige aufstöhnen, sehe sie förmlich die Augen verdrehen. "Wieder ein Gutmensch" denken sie und sortieren mich in die Schublade der realitätsfernen Pseudooptimisten. Genauso wie ich sie insgeheim in der Schublade "rechtsorientiert" ablege und kurz grüble, ob ich so jemanden wirklich kennen will und ob ich mich auf diese Diskussion wirklich einlassen soll oder nicht.
Denn bei dem ganzen Chaos in der Welt wünscht sich auch mein Hirn Ordnung. Auch wenn ich genau weiß, dass es nicht funktioniert. 
Aber ich will kein Schubladendenker sein. Genau aus diesem Grund nehme ich mir die Zeit und gehe eben schon in die Diskussion. 
Erstens, weil nicht jeder, der auf den "wir brauchen Obergrenzen"-Zug aufspringt tatsächlich etwas gegen Ausländer hat. Viele haben einfach nur Angst. Riesenangst. Vor der Veränderung, vor der Un-Ordnung, vor dem nicht-in-Schubladen-packen-.Können. Für Angst kann keiner was. Angst hat man eben, da wird man nicht gefragt. Gemeinerweise wird diese Angst momentan auch massiv gefördert. Von Parteien, von den Medien, von Menschen, die genau wissen, wie man diese Angst zu seinen eigenen Gunsten nutzen kann. Bei der Berichterstattung über den Vorfall auf dem Berliner Weihnachtsmarkt fiel von Anfang an immer und immer wieder das Wort "Anschlag". "Wir wissen noch nicht, ob es sich um einen Anschlag handelt..." "wir sagen nicht, dass es ein Anschlag war..."
Immer und immer wieder dieses Wort mit dem abschwächenden "nicht". Blöderweise funktioniert "nicht" aber bei unserem Gehirn nur sehr begrenzt. Denk mal nicht an einen rosa Elefanten.... Plopp - schon ist er da, der rosa Elefant und wird dann mühevoll vom Hirn durchgestrichen.  
Eigentlich ganz schön einfach, Menschen in eine gewünschte Richtung zu beeinflussen. Außer, man macht sich bewusst, wie  das funktioniert und denkt dann nochmal drüber nach, was gerade so passiert. Aber denken ist anstrengend. Man muss sich manchmal wirklich dazu zwingen, weil die Lösung, die einem da auf dem Silbertablett angeboten wird doch so viel einfacher ist - und ganz ohne Denken auskommt.
Zweitens diskutiere ich, weil die Erfahrung zeigt, dass Angst meist eine sehr irrationale Sache ist und in den allermeisten Fällen kleiner wird, wenn man darüber spricht und dabei sein Gehirn mit einbezieht und die Hormone somit ein bisschen abschwächt.
Last but not least darf man natürlich auch nicht vergessen, dass ich einfach gerne diskutiere...

So, weil das christliche Abendland ja viel mit Glauben zu tun hat (auch wenn erschreckend viele nicht mal mehr wissen, was wir an Weihnachten denn nun genau feiern...) erzähle ich Euch jetzt, was ich glaube:
  • Ich glaube, dass es nette und blöde Menschen gibt. Überall auf der Welt. Egal mit welcher Hautfarbe oder mit welchem Glauben sie durch die Welt laufen. Die Wahrscheinlichkeit, dass es unter den ausländischen Mitmenschen (egal woher sie kommen) Arschlöcher gibt und welche, die kriminell sind und welche, die anderen nichts Gutes wollen ist ziemlich genau gleich groß wie die, dass es Deutsche gibt, die Arschlöcher sind, kriminell sind oder anderen nichts Gutes wollen.
  • Ich glaube, dass Menschen, die wir jetzt ausgrenzen und denen wir keine Chance geben, weil sie anders sind viel anfälliger sind für Radikalisierung. Menschen wollen dazugehören. Das ist evolutionär so angelegt. Man muss dazugehören um zu überleben. Nur gemeinsam sind wir Menschen stark und überlebensfähig. Wenn wir anderen das Gefühl geben, nicht dazugehören zu können, dann werden die sich mit viel größerer Wahrscheinlichkeit zu Verhaltensweisen hinreißen lassen, die wir nicht wollen als wenn sie erleben, dass ihnen geholfen wird und man ihnen offen entgegentritt.
  • Ich glaube, dass genau unser christlicher Hintergrund uns dazu auffordert, eben dieses zu tun - wer sagt "ich hab mit dem Christentum nichts am Hut" möge bitte aufhören, das christliche Abendland beschützen zu wollen.
  • Ich glaube, dass Angst ein schlechter Ratgeber ist. Angst ist gut, um uns vor übereilten Handlungen zu schützen. Danach muss aber das Hirn wieder eingeschaltet werden.
Und was das Wichtigste ist:
  • Ich glaube, dass jeder für sich selbst in der Hand hat, zu denken und zu handeln. Jeder hat die Möglichkeit, das Richtige zu tun. Dafür muss man nichts Großes vollbringen, das kann jeder in seinem Umfeld und seinem Rahmen. Wenn das nämlich jeder in seinem Kreis tut, wird der gesamte Kreis riesig - und dann funktioniert das mit der Toleranz und dem Frieden vielleicht doch noch.

Ich wünsche Euch allen ruhige, frohe, gesegnete, schöne, lustige und vor allem friedliche Weihnachtstage. Macht das Beste aus Eurem Leben, vielleicht gibt es nur dieses eine.



Sonntag, 20. November 2016

die Zeit ist irgendwie unberechenbar

Kennt Ihr das, dass manchmal die Zeit stehen bleibt. Oder rennt. Oder schleicht. Irgendwie verhält sie sich total unberechenbar.
Ich z. B. bin in meinem Kopf irgendwo zwischen 13 und 20 stehen geblieben. Auch mit 40 fühle ich mich innerlich irgendwie nicht anders als "damals".
Gestern ist mir das mal wieder sehr bewusst geworden.
Wir hatten nämlich 20jähriges Abiturtreffen. 
Immer wenn ich mir bewusst vor Augen führe, dass es ZWANZIG Jahre her ist, dass ich Abitur gemacht habe, DENKE ich, dass ich mich alt fühlen sollte. Sehr alt. Aber irgendwie kommt's im Hirn nicht an. 
Ich stand also gestern in "meiner" alten Schule, in der sich so vieles verändert hat, dass es schon gar nicht mehr wirklich "meine" Schule ist - und trotzdem fühlte es sich ein bisschen an wie daheim. Der Boden in der Eingangshalle ist noch der selbe wie damals. Einige der Gänge. Die Treppen, die Lichter... Zwar hängen andere Bilder, es gibt Durchgänge, die früher nicht da waren und Anbauten, die zu unserer Zeit noch nicht mal geplant waren. Es gibt Innenhöfe nicht mehr, die es damals gab und man muss zur Verdunkelung des Forums nicht mehr aufs bröckelige Flachdach klettern - und trotzdem flüstert es in allen Ecken "weißt Du noch?".

Ich war gerne in der Schule. Ich war gerne im Gymi. Ich hatte Höhen und Tiefen und Zeiten, in denen ich lieber in vielen Wahlfächern am Nachmittag war, als zu Hause. Ich habe während langer Theaterproben aufs Abi gelernt (oder auch manchmal eher nicht) und unzählige Stunden (also gut, man könnte sie zählen, aber ich habe keine Lust dazu) in diesen mehr oder weniger heiligen Hallen verbracht.

Und nächstes Jahr kommt für meinen Sohn der Übertritt an irgendeine Schule. Ich sollte also irgendwann zwischen damals und heute erwachsen geworden sein und da könnte man doch auch erwarten, dass man sich anders fühlt. Tu ich aber nicht. Ich fühle mich weder alt noch erwachsen noch sonst irgendwie. 

Ich glaube schon, dass ich mich entwickelt habe. 20 Jahre gehen an keinem wirklich spurlos vorüber. Aber ich glaube nicht, dass ich mich grundlegend verändert habe. 
Ich kann immer noch unglaublich albern sein, ich mache immer noch gerne PM-Rätsel, ich bin immer noch an meinem Husten überall zu erkennen, ich liebe es nach wie vor, mit Freunden die Nacht durch zu ratschen und wer will kann von mir immer noch zu fast jedem Thema meine Meinung haben. Ich bin nach wie vor spießig aber nicht mainstream.
Ich mag immer noch keine Menschen, die anderen nach dem Mund reden und so tun als wären sie etwas, das sie nicht sind. Noch immer verabscheue ich Unehrlichkeit, Schmarotzertum und Anbiederei. Ich kotze bei Sozialneid und Ausländerhass.

Tatsächlich hat sich also wohl nicht viel verändert.

Gestern hatte ich das Gefühl, dass das nicht nur bei mir so ist. Es waren ziemlich viele von unserem Jahrgang da. Die allermeisten habe ich sofort erkannt. Manche schon an ihrem Gang, ihrer Haltung oder ihrer Art zu sitzen. Bei manchen hatte ich das Gefühl, dass wir genau da weitermachen konnten, wo wir vor 20 Jahren aufgehört haben. Weil nicht nur ich mich nicht grundlegend verändert habe, sondern auch sie. 

Ich freue mich jetzt schon auf unser nächstes Klassentreffen. 
Nicht, weil ich zeigen muss, wer ich bin und wie toll ich bin sondern weil es einfach schön ist, Menschen zu treffen, die mich viele Jahre meines Lebens begleitet haben, mit denen ich Erfahrungen teile, die ich heute gar nicht mehr machen könnte und einen Abend zu verbringen, an dem ich ich sein darf - in einer Rolle, die es heute sonst für mich gar nicht mehr gibt. Nämlich als alter Schulkamerad. 

Leute, ich freu mich aufs nächste Mal. Vielleicht ja schon in 5 Jahren.
Danke für den tollen Abend und das Gefühl, in der Zeit zurück gereist zu sein. 
Danke für einen Abend voller Erinnerungen und aufgezogener Gedächtnis-Schubladen.
Danke für das Gefühl, noch immer ein Teil von etwas zu sein, was irgendwie auch nach Jahren noch Bestand hat.

Ich wünsche Euch, dass das Leben bis zum nächsten Treffen viele schöne Überraschungen für Euch bereit hält und Euch keine oder nur wenige Steine in den Weg legt.

Und vielleicht schaffe ich es ja, den einen oder anderen von Euch schon vor dem nächsten Klassentreffen wieder zu sehen. Mich würde es freuen.

Samstag, 1. Oktober 2016

Die Zeit rennt

Die Zeit rennt und rennt und rennt.
Jetzt sind es schon 3 Jahre.
3 stürmische Jahre voller Leben, Veränderung, Neuanfängen aber auch Enden.
Ich schreibe hier nur noch sehr selten, weil sonst in meinem Leben so viel los ist, dass die Krankheit, das Jahr im Kampf dagegen und dieser Blog oft völlig ins Hintertreffen geraten.
Und das ist gut so.
Nur manchmal gibt es Phasen, in denen ich wieder viel nachdenke über "damals" und über Krebs.
Natürlich kommt das besonders dann vor, wenn jemand an Krebs stirbt. Ich habe früher nicht so intensiv mit den Angehörigen gelitten wie jetzt. Weil ein Teil meines Kopfes sagt: "Stell Dir vor, wie sich Deine Kinder, Dein Mann jetzt fühlen würden" - und die Vorstellung macht mich immer noch weinen.
Dieses Jahr denke ich tatsächlich auch an ein "um diese Zeit vor 3 Jahren". Das hatte ich bisher noch nicht. Dieses Jahr ganz schlimm.
Vielleicht, weil ich das erste Jahr für Therapie und das zweite Jahr für Normalität und das Ankommen in der selbigen gebraucht habe.
Vielleicht auch, weil eine liebe Freundin aus der Krebszeit zur Zeit wieder gesundheitliche Probleme hat, die auch lebensbedrohlich sein könnten und mir das vor Augen führt, wie kostbar die Gesundheit ist und das Leben.
Vielleicht, weil mein Leben mittlerweile wieder so normal und lebendig und voll geworden ist, dass dieses Jahr der Krankheit im Nebel versinkt und langsam aber sicher beginnt, unwirklich zu werden. Natürlich erzählen die Narben auf dem Körper davon, aber wenn ich nicht an mir hinuntersehe, dann löst sich das Jahr in meinem Kopf in Rauch auf und entschwindet.
Mir fehlen bereits viele Momente aus diesem Jahr. Ich kann mich an einiges nicht erinnern. Ich könnte nicht sagen, wie Georgs Geburtstag oder Silvester 2013 waren, ich weiß nicht mehr, was ich an Sofies Geburtstag gemacht habe - alles im Nebel.
Aber besser es fehlt ein Jahr in meiner Erinnerung als es fehlen 50 Jahre Leben.

Heute hatte ich das Bedürfnis, mal wieder bewusst zu lesen, was ich "damals" geschrieben habe. Ich musste mir ein paar Tränchen verdrücken (na gut, ich hab sie mir nicht verdrückt, sondern ein bisschen geweint) und jetzt geht es mir besser.
Ich bin dankbar. Dankbar für so vieles:

  • dafür, dass ich wieder voll im Leben stehe
  • dafür, die Fotografie für mich gefunden zu haben (www.monsterlabel.de/click)
  • für eine neue Chance in einem neuen berufliche Bereich
  • dafür, in meinem "alten" Job wieder so gut angekommen zu sein und mich dort immer noch wohl zu fühlen
  • dafür, dass in meinem Tagebuch oft der Bereich mit den negativen Erlebnissen am Tag leer bleibt
  • für einen wunderschönen, lebendigen Sommer und einen traumhaften Herbst
  • für meine Kreativität, die sich immer mehr in gute Kanäle locken lässt
  • dafür, dass seit 3 Jahren alle Nachsorgeuntersuchungen ohne Befund sind
und ganz besonders und unendlich dankbar bin ich
  • für meine Familie, die mit mir durch alle Höhen und Tiefen gegangen ist ohne zu bröckeln
  • für meinen Mann, der mich immer noch anfassen kann und der mich nach wie vor liebt
  • für alle in meinem Umfeld, die geblieben sind, wo andere gegangen sind
  • für diejenigen, die ich überhaupt erst in dieser Zeit kennengelernt habe und die mir fehlen würden, wenn ich sie nicht hätte.
Ich schließe heute mit den Worten von Max Frisch:
"Krise ist ein produktiver Zustand. Man muss ihm nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen."


Samstag, 7. Mai 2016

RIP

"Man sieht die Sonne langsam untergehen und erschrickt doch, wenn es plötzlich dunkel ist."

Dieser Spruch von Kafka beschreibt exakt, wie es mir gerade geht.

Eine Freundin von mir, die ich bei meiner ersten Chemo kennengelernt habe, ist letzte Woche gestorben.
Liebe Marion,
seit ich gehört habe, dass Du wieder Hirnmetastasen hast, dass Du in München zur Cyberknife-Behandlung bist und eine neue Chemo bekommst - seit diesem Tag habe ich immer wieder mit ungutem Gefühl im Bauch die Todesanzeigen in der Augsburger Allgemeinen durchgeschaut und war jedes Mal erleichtert, Deinen Namen nicht dort zu finden. Dennoch wuchs meine Angst und meine Beklemmung immer mehr, als Du Dich mittlerweile 2 Monate lang nicht gemeldet hast. Letzte Woche habe ich eine Postkarte an Dich fertig gemacht und wusste auf einmal Deine Adresse nicht mehr auswendig. Deine Adresse, die ich seit beinahe 3 Jahren weiß, die ich im Schlaf kenne, die ich immer wieder angefahren habe - sie fiel mir einfach nicht ein. Mein Handy verweigerte an diesem Tag jegliche Internetverbindung und da ich lange arbeiten musste, konnte ich nicht zu Hause nachschauen - sonst wäre die Karte in den Briefkasten gewandert. So liegt sie geschrieben und mit löcheriger Adresse in meinem Kalender...
Einen Tag später habe ich durch Deine Tochter die Nachricht Deines Todes erhalten. Bereits am Dienstag den 26.04.2016 bist Du gestorben. Wie ich von Diana erfahren habe, durftest Du zumindest ruhig einschlafen und musstest Dir diesen allerletzten Schritt nicht erkämpfen.

Ich bin froh, dass Du es letztes Jahr noch geschafft hast, nach Altötting zu fahren. Ich weiß, dass das einer Deiner Wünsche war. Ein Wunsch von der Liste der Dinge, die man noch tun will, bevor man stirbt. Wenigstens ein Wunsch, den Du Dir noch erfüllen konntest. Und gleichzeitig ist es eine Mahnung an uns alle, nichts auf die lange Bank zu schieben. Unser Leben im Jetzt und Hier zu leben, Träume wann immer möglich zu erfüllen. Den Rosenkranz, den Du mir von dort mitgebracht hast, habe ich immer im Auto dabei - damit er mich beschützt, wie Du es Dir gewünscht hast, als Du ihn mir geschenkt hast.

Weil Du Gabalier so gerne gemocht hast, verlinke ich hier Dein Lieblingslied von ihm.

Liebe Marion, danke für die Zeit mit Dir, für das Lachen und die Gespräche. Für jeden Kaffee, den wir miteinander getrunken haben. Für die seelische und moralische Unterstützung während unserer gemeinsamen Chemozeit, die für mich nach 6 Zyklen zu Ende war während Du immer noch weiter behandelt wurdest.
Ich hätte Dir noch viele Jahre mit Deiner Familie und Deinen Enkeln gegönnt. Eine große Geburtstagsparty, die Hochzeit Deiner Kinder - all das, was Du Dir erträumt und erhofft hast.
Ich hätte Dich gerne noch einmal besucht, hätte Dich in den Arm genommen. Du wolltest zum Schluss keinen Kontakt mehr, ich vermute, es hätte Dich zu viel Kraft gekostet. Mir tut es leid, dass wir uns nicht verabschieden konnten, aber die Dankbarkeit dafür, Dich gekannt zu haben, überwiegt.

Mach's gut.


Freitag, 15. April 2016

magic moments

In dieser Woche gab es einen Todesfall in meinem weiteren Familienkreis. Gestern war ich im Rosenkranz. Ich bin kein sehr katholischer Mensch. Ich gehe dort nicht hin, weil ich mich in der Kirche mehr mit Gott verbunden fühle. Das kann ich überall sein - muss es aber auch in der Kirche nicht.
Ich mag das Rosenkranz beten, weil es Zeit ist, die ich ganz für mich alleine habe. Wo meine Gedanken auf die Reise gehen können, weil ich nicht an 1000 Kleinigkeiten denken muss, die ich noch machen muss oder was ich noch schnell schauen muss oder was eines der Kinder braucht. Ich kann das zwar alles denken, aber für eine halbe Stunde kann und muss ich nichts machen. Die Gebete sind automatisiert, meine Gedanken können also frei schweifen. Ich komme dabei oft (nicht immer) ganz zu mir.
Gestern war es ziemlich bewölkt, als wir in die Kirche gingen. In unserem Dorf gibt es eine relativ große alte Klosterkirche mit einem Hauptschiff und zwei Seitenschiffen. Die Kirche hat zwar große Fenster, aber aufgrund der Bewölkung und weil es ja schon Abend war, herrschte ein bisschen dusteres Zwielicht. Und dann kam auf ein Mal die Sonne heraus und schien durch eines der Fenster über dem Seitenschiff genau auf ein großes Kreuz an der gegenüberliegenden Wand. Nur durch eines und genau auf das Kreuz. Dieses Kreuz hatte ich noch nie bewusst wahrgenommen und jetzt hing es da in einer Lichtinsel an der ansonsten dusteren Wand.
Dieser Moment war beinahe magisch und hat meine Seele berührt.
Nicht weil ich glaube, dass Gott mir etwas sagen wollte, nicht weil ich meine, dass das Licht wegen mir kam sondern einfach nur, weil es wunderschön war. Eben beinahe magisch.
Weil ich in diesem Moment trotz der Trauer um den Verstorbenen, trotz des Leidens mit den Angehörigen, trotz der Angst und der Wut und der Hilflosigkeit, die in Anbetracht des Todes in mir waren ein tiefes Gefühl der Dankbarkeit empfand. Dankbarkeit dafür, dass ich am Leben sein darf. Dankbarkeit dafür, dass ich diese ganze Masse an Gefühlen spüren kann und darf und Dankbarkeit dafür, dass ich derartig wunderbare Dinge wie die Sonne, die durch Wolken scheint sehen und erleben darf.
Die Magie des Lebens liegt eben meistens in den kleinen Dingen und braucht kein großes Tamtam.
Genießt die kleinen Momente, denn sie machen das große Glück.



Mittwoch, 30. März 2016

von der Wertigkeit von Dingen

Heute geht's ums Thema: Was ist was wert? Und dabei denke ich noch gar nicht an solche Dinge wie das Leben oder die Freiheit, sondern ganz banal an Güter und Dienstleistungen.

Ich habe ja schon erzählt, dass ich ein Kleingewerbe habe, in dem ich Handarbeitssachen herstelle und fotografiere. Ich nähe, strickle und häkle (oder fotografiere eben) im Auftrag von anderen.  Ich mache das wirklich gerne, es bereitet mir (meistens) Freude und Genugtuung, etwas mit meinen Händen zu schaffen und kreativ zu sein.
Leider muss ich dabei mmer wieder feststellen, dass diese Arbeit von einigen nicht wertgeschätzt wird. Wenn ich für eine selbstgestrickte Mütze 18 Euro oder für eine genähte Jacke 40 Euro verlange ist das Interesse plötzlich nicht mehr so groß. Das selbe passiert, wenn ich für Fotos Geld verlange.
Das Argument ist dann oft: "Aber das ist doch selbstgemacht..." (man muss hier nicht sehr gut sehen, um das "nur" zwischen den Zeilen zu lesen).

Ich kann durchaus verstehen, dass viele gut auf ihr Geld aufpassen müssen. Allerdings kann ich nicht verstehen, dass man bereit ist, für seinen Marken-Pulli viel Geld hinzulegen (der oftmals in Bangladesch von netten kleinen Kindern produziert wird), man hier aber nicht bereit ist, für ein Einzelstück nach seinen eigenen Wünschen genauso viel zu investieren. Ich kann nicht begreifen, dass das dann "nur" selbstgemacht ist - und warum das weniger wert ist...

Nehmen wir das Beispiel einer Mütze:
  • Wenn ich eine Mütze mache, überlege ich mir, wie ich die Wünsche des Kunden am Besten umsetzen kann. Ich frage anfangs viel nach, um wirklich das zu machen, was der Kunde will. Soll die Mütze gestrickt, gehäkelt oder genäht werden, wie groß soll sie sein, welches Material wird bevorzugt, gibt es Musterwünsche, ...
  • Wenn ich mir in etwa vorstellen kann, was der Kunde will, dann fahre ich los und besorge das Material. Dazu muss ich im Optimalfall 8 km fahren, gerne aber auch 20 oder 25. 
  • Danach "produziere" ich die Mütze. Ich setze mich also hin und brauche im günstigsten Fall eine halbe Stunde, häufiger allerdings zwei bis 5 Stunden (oder bei aufwändigen Dingen noch länger) für die Mütze. Ein Kuscheltier zu häkeln oder stricken braucht übrigens wesentlich länger als eine Mütze, auch wenn es kleiner aussieht....
  • Dann muss ich noch aufräumen, ein Etikett schreiben (ich unterliege nämlich lustigerweise der Textilkennzeichnungspflicht), eine Rechnung schreiben, das Ganze verpacken und dann zur Post bringen (auch nochmal 3 km von hier).
Da ich ja nur ein Kleinunternehmer bin, gibt es für mich keine "Einkaufspreise". Ich brauche keinen ganzen Ballen Stoff, ich brauche normalerweise nur Kleinmengen, also keine Sonderpreise bei der Materialbeschaffung.
Da ich versuche, alles rechtlich korrekt zu machen, zahle ich brav meine Verpackungslizenz. Da ich außerdem unsere Umwelt ein bisschen schützen will, verwende ich gerne auch Verpackungen nochmal (die also schon jemand anderes lizenziert hatte) - aber egal.
Und dann kommt da ja auch noch das nette Finanzamt und die Herrschaften von der HWK - und die wollen auch nur mein Bestes...
Noch Fragen dazu, wie es zu dem Preis kommt, wenn ein Knäuel Wolle doch nur 1 Euro kostet (Wolle, die ich im Übrigen eher nicht verwende ;-) )

Nehmen wir das Fotografieren:
Es stimmt, ich habe den Beruf nicht erlernt. Ich mache es auch noch nicht seit 20 Jahren - deshalb stehe ich ja noch am Anfang und habe diesen Punkt erst jetzt mit in mein Repertoire aufgenommen. Nichtsdestotrotz habe ich Workshops besucht (und werde das auch weiterhin tun), ich habe Bücher gelesen und auf alle möglichen Weisen versucht, mich weiterzuentwickeln.
Auch wenn viele meinen, beim Fotografieren ginge es ja nur darum, ein bisschen zu knipsen.
Dröseln wir doch auch hier mal auf:

  • Ich bespreche vor, wann es günstig ist, was für Fotos gewünscht werden...
  • Ich mache mir Gedanken darüber, wo wir Fotos machen können - oft fahre ich auch vorher hin und schaue mir die "Location" genauer an, um Ideen zu entwickeln, was schöne Motive sein könnten.
  • Ich komme zum vereinbarten Ort und verbringe im Regelfall mindestens eine Stunde, oft auch zwei oder drei mit den Kunden, um möglichst entspannte Fotos zu machen (gerade wenn Kinder dabei sind, braucht man manchmal ein bisschen Zeit, bis alle warm werden und wir natürliche Fotos machen können).
  • Zum Fotografieren habe ich eine ordentliche Kamera und mehr als ein Objektiv, um die für die jeweiligen Gegebenheiten möglichst optimale Kombination verwenden zu können.
  • Wenn die Bilder im Kasten sind (ich also geknipst habe), fahre ich heim und lade die Bilder auf meinen PC.
  • Hier sichte ich die Bilder in einem (ordentlich erworbenen) Bildbearbeitungsprogramm, schmeiße alles, was verwackelt oder total unscharf ist raus, lösche Bilder, bei denen alle blöd schauen oder der Nachbar durchs Bild fährt.
    Besonders bei Tieraufnahmen (Pferde im Galopp oder Hunde in vollem Lauf) verwende ich gerne die Serienbildaufnahme. Wenn jemand Geld für Fotos von seinem Liebling ausgibt, will er auch, dass der auf den Fotos gut aussieht. Auch Pferde und Hunde zwinkern, manchmal schauen sie doof und nicht jede Laufphase ist gleich attraktiv auf Bildern. Hier muss man also die besten Bilder raussuchen. 
  • Die Bilder, die dann übrig bleiben werden genauer angeschaut und bearbeitet. Das ist die Arbeit, die früher in der Dunkelkammer geschah. Hier geht es darum, den Bildern genug Schärfe, Kontrast, Helligkeit, Farbe etc zu geben. Je besser das Ausgangsbild war, je mehr das bereits meinen eigenen Vorstellungen entspricht, desto weniger muss hier gemacht werden.
  • Danach stelle ich den Kunden die Fotos meist für eine Vorauswahl zur Verfügung. Es können noch Wünsche geäußert werden, ich versuche, diese zu erfüllen.
  • Falls vereinbart bestelle ich die Prints, ansonsten brenne ich die Daten auf CD.
  • Den Datenträger (und etwaige Prints) verpacke ich selbst in Handarbeit (siehe oben "nur selbstgemacht") und schicke oder bringe diese zu den Kunden.

Ganz schön viel Arbeit für "nur ein bisschen Knipsen", oder?`
Und: Ja, ich habe kein Studio. Ich will auch kein Studio. Nicht, weil ich mit einem Studio nicht umgehen könnte, sondern weil ich eine andere Art von Fotografie betreibe. Ich kann aber zu Euch kommen und falls ihr nicht in einem lichtdurchfluteten Loft wohnt kann ich so viel Licht mitbringen, dass wir trotzdem bei Euch schöne Bilder machen können. Wenn ihr Fotos von Eurem Baby haben wollt, kann ich Accessoires mitbringen, falls ihr Bilder vom Babybauch wollt, habe ich ein Kleid.....


Das Material kostet, die Technik kostet, die Aus- und Weiterbildung kostet, die Accessoires kosten, Energie, Verpackung, Hilfsmittel, Pc, Programme, Steuern, Lizenzen, Kammerbeiträge,  .... - alles kostet und Zeit ist ja bekanntlich auch Geld. Insgesamt steckt in all diesen Dienstleistungen einfach richtig viel Liebe, Zeit und 1000 Kleinigkeiten, die alle entweder Zeit oder Geld (oder beides) kosten und die man oft gar nicht wirklich wahrnimmt. 
Ihr bekommt dafür ein Produkt, dass auf Eure Wünsche zugeschnitten ist, dass Euch entspricht und das nicht jeder hat. Ihr bekommt individuelle Dinge oder Bilder. Wie viel das wert ist und ob man sich das leisten will bzw. kann entscheidet letztlich jeder für sich - aber es ist nicht weniger wert, weil es "nur" selbstgemacht ist.

Ach und P.S.: Wenn sich wirklich jemand den eigentlichen Preis nicht leisten KANN kann, man über alles reden. Dann gibt es Mini-Shootings mit weniger Zeit und weniger Bildern, Tipps, wie man sich etwas selber machen kann und ich habe tatsächlich auch schon gegen Naturalien gearbeitet. Aber nicht, weil jemand sagt "Das ist ja nur selbstgemacht"......









Samstag, 12. März 2016

Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht

Vorsicht, das wird ein Erziehungs-Aufrege-Post....
Aber ganz ehrlich: Der Wahnsinn treibt langsam seltsame Blüten, oder?
Ich verstehe ja, dass Eltern-sein nicht einfach ist.
Eltern wollen das Beste für ihre Kinder. Sie wollen optimale Startbedingungen schaffen, sie wollen es bestmöglich fördern und ihm jede Chance offen halten. Viele wollen vielleicht auch noch, dass das Kind es mal besser hat, als man selbst.
Soweit so gut. Das war wahrscheinlich auch in früheren Generationen so.
Aber gerade der Fördergedanke zeigt manchmal wirklich komische Auswüchse.
Da gibt es Englischunterricht für Kleinkinder - aber im Kindergarten legt man wert darauf, dass ja kein Dialekt gesprochen wird. Dabei ist Dialekt nachweislich gut für späteres Sprachenlernen.
Da werden Kinder vom Turnen zum Ballett zum Reitunterricht und zum Schwimmen chauffiert - aber auf dem Spielplatz fällt man fast in Ohnmacht, wenn das Kind versucht, auf ein Klettergerüst zu kommen. Bäume werden nach ihren dekorativen (und ungiftigen) Gesichtspunkten ausgewählt, nicht danach, ob sie bekletterbar sind, denn auf Bäume klettern ist verboten.


Statt zu Hause gemeinsam zu singen und Fingerspiele zu machen bringt man sein Kind in die musikalische Früherziehung.
Vom Kindergarten wird verlangt, dass Kinder dort gezielt Zahlen und Buchstaben lernen - aber beim Tischdecken für die Familie, was ja das Zahlenverständnis ganz nebenbei schulen würde, da darf kein Kind mithelfen.
Statt mit den Kurzen draußen durch Pfützen zu hüpfen oder Fußball zu spielen, bekommen sie einen Fernseher ins Zimmer und am Besten noch eine Konsole dazu. Um wirklich sicher zu stellen, dass ich als Elternteil nicht mehr in Kontakt gehen muss lasse ich das liebe Kleine auch noch im Zimmer essen...
Ich habe es auch schon erlebt, dass Eltern und Kind miteinander chatten, obwohl sie sich nur in zwei angrenzenden Zimmern befinden. Angeblich, um dadurch die Rechtschreibung zu verbessern...

Bitte versteht mich nicht falsch. Meine Kinder dürfen auch Fernsehen. Ich weiß auch, dass es Situationen gibt, wo man sie dort parkt, weil man einfach selbst keine Kraft mehr hat und Pause braucht. Das ist auch völlig in Ordnung, WENN es a) einem klar ist, dass man sie dort parkt weil man selbst sich nicht mit Ihnen beschäftigen kann oder will und b) klar ist, dass das eine überschaubare Ausnahme bleibt.
Ich finde es auch nicht schlimm, wenn Kinder spielerisch Englisch lernen.
Wobei  mir allerdings die Haare zu Berge stehen ist, wenn Kinder schon mehr Programm haben als ein Vollzeitberufstätiger. Wenn keine Zeit mehr zum Spielen bleibt, weil "Bildung" vorgeht. Und wenn die Verantwortung für das Erlernen bestimmter Fähigkeiten ausgelagert wird.Tatsache ist: Erziehung und Bildung ist der Job von uns Eltern, das kann und darf man nicht outsourcen. Natürlich gibt es Dinge, die mein Kind von mir nicht lernen kann. Den Umgang mit anderen Kindern zum Beispiel. Und dafür sind Einrichtungen wie Kindergarten und Schule auch wirklich Gold wert.
Aber das Elternhaus ist nichtsdestotrotz für die Vermittlung von Werten zuständig. Oder dafür, die Rahmenbedingungen zu schaffen, dass so ein junger Mensch die Welt entdecken und die notwendigen Fähigkeiten erlernen kann. Und die lernt ein gesundes Kind, indem man es im Alltag lernen lässt und nicht besser, indem es gezielte Lernkurse besucht.
Die Voraussetzung dafür ist allerdings, dass ich mit meinem Kind in Kontakt bin, dass ich in Beziehung bin. Dass ich nicht 5 Sachen nebenbei mache, nicht ständig am PC oder Handy hänge, sondern geistig DA bin. Dass ich mich als Elternteil positioniere, klar bin und die Verantwortung übernehme. Verantwortung für mein Kind, meine Entscheidungen, ... Und zwar auch dann, wenn es mal anstrengend ist. Egal, ob ein trotzdender 2jähriger einen bühnenreifen Rumpelstilzchenanfall hinlegt oder ein rotziger 13jähriger versucht, mich zu provozieren.
Mein Aufruf für heute ist also:

Stoppt das Auslagern von Verantwortung, gebt das Elternsein nicht aus der Hand, geht in Kontakt mit Euren Kindern - auch wenn es manchmal verdammt anstrengend ist. Es ist es wirklich wert!
Und lasst Eure Kinder raus, traut ihnen was zu. Was ist wohl mehr wert? Eine Jeans, die kaputt oder dreckig ist oder der Triumph, den Baum endlich bestiegen zu haben? Woran wachsen unsere Kinder? An sauberen Klamotten und der Fähigkeit, die Titelmelodie von 17 Fernsehsendungen zu erkennen?


Samstag, 5. März 2016

vom Leben und Sterben und allem, was dazwischen liegt

Ihr habt ja sicher schon mitbekommen, dass sich bei mir gerade einiges ändert. Ich mache meine Ausbildung zum Heilpraktiker für Psychotherapie, ich habe die ersten Schritte gemacht, um gewerblich zu fotografieren, ich werde meine Tätigkeit im Kindergarten aufgeben....

Letzte Woche ging es in meiner Ausbildung ums Thema "Suizid", ein paar Tage später habe ich einen Workshop von "Dein Sternenkind" besucht, auf dem Fotografen darauf vorbereitet werden, was alles auf sie zukommen kann, wenn sie ein Sternenkind fotografieren.
Kurz: Ich war gezwungen, mich mehrmals mit dem Thema "Tod" auseinanderzusetzen. Und ganz ehrlich: Es hat mir gut getan.

Das klingt irgendwie seltsam, wo doch in unserer Gesellschaft Tod und Sterben zu einem derartigen Tabuthema gemacht werden.
Für mich persönlich ist es kein Tabu. Klar denke ich lieber über andere Dinge nach und rede auch lieber über andere Sachen. Aber nichtsdestotrotz tut es ab und zu gut, darüber nachzudenken. Sowohl darüber, dass das Leben endlich ist, als auch darüber, wie man sich das eigene Ende denn vorstellt, was danach kommen könnte und wie die Beerdigung aussehen sollte. Darüber sollte man ruhig auch mal mit seiner Familie oder guten Freunden sprechen. Oftmals ist es nämlich für Hinterbliebene schön und sogar eine Erleichterung, wenn sie wissen, wie sich der Verstorbene die Beerdigung gewünscht hat.
Gibt es ein Lied, das gespielt werden soll? Lieblingsblumen? Eine spezielle Beerdigungsart? Worauf legt man Wert und was ist einem eher egal? Das alles sind Dinge, die man im Vorfeld durchaus mal besprechen sollte.

Ich weiß z. B. welches Lied mein Mann gerne bei seiner Beerdigung hätte. Ich hoffe, dass ich das noch lange nicht organisieren muss - aber wenn, dann weiß ich, dass ich ihm damit noch einen letzten Wunsch erfüllen kann. Und das finde ich eine schöne Vorstellung.

Natürlich kann ich gut verstehen, dass der Gedanke an den Tod vielen Menschen Angst macht. Je näher einem das persönliche Ende erscheint, desto größer mag die Angst sein. Während sie in jungen Jahren eher ein unangenehmes Kribbeln in der Magengegend verursacht, mag man mit höherem Lebensalter durchaus richtige Angst verspüren. Andere hingegen haben ihren inneren Frieden gefunden und sehen diesem letzten Schritt relativ gelassen entgegen. Ich kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen, wie es bei mir einmal sein wird. Prinzipiell lebe ich sehr gerne. Ich habe auch noch einiges vor und fände es sehr, sehr schade, jetzt zu sterben. Wie das in 50 Jahren aussieht, weiß ich jetzt ja nicht.
Zu meiner jetzigen Gelassenheit trägt auch meine Vorliebe für Terry Pratchett bei. Da ich ein Katzenliebhaber bin habe ich vor TOD wohl nicht allzuviel zu befürchten. Vielleicht sollte ich mir noch angewöhnen, einen Apfel für Binky einzustecken. (Für alle, die die Scheibenweltromane nicht kennen: Sehr empfehlenswert (vielleicht nicht unbedingt mit dem ersten anfangen, aber gerade "Gevatter Tod" oder "Alles Sense" sind sehr zu empfehlen).

Neben den ganzen Gedanken zum Thema "Tod und Sterben" hat die Auseinandersetzung mit diesem Thema mir noch etwas gebracht: tiefe Dankbarkeit. Dankbarkeit dafür, dass ich noch am Leben sein darf und es mir gut geht. Dafür, dass es meinen Kindern gut geht und sie gesund sind. Dankbarkeit dafür, dass ich mich wieder in dieser scheinbaren Sicherheit wiegen darf, dass mein Leben noch lange, lange andauern wird und ich eben nicht täglich ernsthaft mit dem Ende rechne. Das alles macht mich zutiefst dankbar.
Durch das Bewusstsein der Endlichkeit kommen die Dinge wieder ins richtige Lot, die Prioritäten verschieben sich ein bisschen. Der Blick wird beinahe automatisch wieder ein bisschen mehr auf das Wesentliche gezogen. Es ist, als würde mir jemand von Neuem die Augen öffnen und ich beginne wieder, zu sehen.  Und beim Wahrnehmen all der großartigen Kleinigkeiten im Leben und in der Natur macht sich Demut breit. Aber keineswegs im Sinne von "alles Furchtbare klaglos ertragen" sondern im Sinne von "sich nicht mehr so furchtbar wichtig nehmen", nicht mehr alles können und haben zu müssen, nicht mehr im nur im Fokus zu stehen, sondern einen Schritt zur Seite machen zu dürfen und sich die Erlaubnis zu geben, einfach mal zu sein wie man ist. Wunderbar.





Dienstag, 5. Januar 2016

Welcome 2016

So, Jahreswechsel rum und alles ist beim Alten. Gut, das ist jetzt keine große Überraschung, aber es gehört trotzdem mal erwähnt.
Ich hatte ja ein ganz kleines Fünkchen Hoffnung, dass sich was ändert. Vielleicht ein wenig mehr Toleranz. Oder ein Quäntchen mehr Nachdenken. Oder eine Prise mehr Kritik gegenüber den Medien.  Aber war wohl nichts. Alles beim Alten.
Kaum sind die ganzen Neujahrsglückwunschs- und AltesJahresrückblicksposts und - sendungen und -artikel vorbei, schon geht's wieder mit den alten Leiern los. Z. B. mit der "Flüchtlinge sind Sozialschmarotzer und kommen nur, weil sie hier so wahnsinnig viel Geld bekommen" - Leier. Oder mit der "Wir sind hier alle arme Schweine und nagen am Existenzminimum und die bekommen alles in den Arsch geschoben"-Leier. Oder mit der "Wir werden alle dem islamistischen Terror zum Opfer fallen, wenn wir hier weiterhin Muslime ins Land lassen"-Leier.
Ich bin ja eigentlich ein zutiefst unpolitischer Mensch. Sei es aus Ignoranz, aus Desinteresse, aus Unwissenheit oder aus Faulheit. Völlig egal. Tatsächlich interessiert mich Politik relativ wenig. Das ist zugegebenermaßen nicht unbedingt gesellschaftsformend. Auch nicht dazu angetan, etwas zu verändern. Wenn ich ehrlich bin, möchte ich auch gar nicht allzu viel verändern. Mein eigenes kleines Universum finde ich ganz ok, mit der grundsätzlichen Gesetzeslage in Deutschland kann ich mich ganz gut abfinden und die Sachen, die ich gerne ändern würde, werden sich nicht ändern, egal, wie sehr ich mich politisch engagiere (ich persönlich finde ja z. B ., dass unsere ganzen großen Politiker einfach viel zu viel verdienen). Ich glaube auch nicht, dass sich an der Staatspolitik etwas ändern wird, egal, welche Partei wirklich "an der Macht" ist. Dazu sind sich unsere großen Parteien viel zu ähnlich. Ich bin also raus aus der großen Politik-Nummer.
Was nicht heißt, dass ich in meinem eigenen kleinen Dunstkreis keine eigene Meinung oder Haltung habe. Damit ecke ich gerne mal an - aber das ist mir relativ egal.
So, und für alle, die es interessiert (oder auch nicht), hier kommt meine eigene kleine und persönliche Meinung zu diesen wunderbaren Leiern. Einmal geballt, vielleicht muss ich mich dann den Rest des Jahres nicht mehr dazu äußern.

Ja, es mag sein, dass bei den vielen, vielen Flüchtlingen auch Sozialschmarotzer, Kriminelle und schlechte Menschen dabei sind. Ich wohne in einer 3000-Seelen-Gemeinde und selbst da gibt es Sozialschmarotzer, Kriminelle und schlechte Menschen. Das liegt in der Natur der Menschen. Die Wahrscheinlichkeit ist also relativ hoch, auch unter mehreren hunderttausend Menschen solche dabei zu haben. Aber nur weil mein Nachbar/ein Bekannter oder wer auch immer ein Depp ist heißt das ja nicht, dass ich das auch bin. Nur, weil es kriminelle Deutsche gibt bin ich ja auch nicht kriminell - obwohl ich auch Deutsche bin. Ich halte nichts von Sippenhaft. Und ich würde mich nicht für deutsche Sozialleistungen auf eine ungewisse Reise, die für viele tödlich endet, machen. Ich finde es toll, dass wir Sozialleistungen haben - aber so hoch sind sie dann auch nicht.

Ja, ich glaube auch, dass sich durch die Aufnahme vieler Menschen aus einer anderen Kultur etwas in Deutschland verändern wird. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass es nicht immer leicht sein wird, mit den Veränderungen Schritt zu halten. Ich glaube allerdings nicht, dass das furchtbar ist. Im Gegenteil. Ich persönlich finde Stillstand weitaus schlimmer als Veränderung. Gegenseitiges voneinander Lernen wäre vielleicht ein guter Weg...
Ich fürchte auch, dass die Stammtischparolen der "ich bin ja kein Nazi ABER"-Fraktion irgendwann harte Realität werden. Wenn ich mir vorstelle, dass hier junge Menschen ankommen, die in Deutschland die Möglichkeit bekommen, ihr Potential zu nutzen, die Ehrgeiz entwickeln und gute Leistungen in der Schule zeigen und diese engagierten jungen Menschen dann auf dem Arbeitsmarkt in Konkurrenz zu einigen unser deutschlandeigenen Null-Bock-Schule-ist-Scheiße-Jugendlichen treten - dann kann es gut sein, dass ein Mensch mit Migrationshintergrund einem Deutschen die Arbeit wegnimmt. Vielleicht auch die Freundin.... Ob man dann allerdings den Flüchtlingen oder der deutschen Flüchtlingspolitik die Schuld dafür geben kann, dass man selbst arbeitslos und ohne Freundin da steht - ich weiß ja nicht....

Ja, wahrscheinlich gibt es auch in Deutschland Terroristen. Vielleicht auch islamistische. Ich wage zu bezweifeln, dass die mit Flüchtlingstrecks ankommen und sich den Entbehrungen einer Erstaufnahmestelle aussetzen. Ich glaube, die kommen über "legale" Wege oder werden hier geboren. Meine persönliche Meinung ist ja, dass das Risiko größer ist, dass jemand zum "Terroristen" wird, wenn er hier mit Missachtung, Ausgrenzung und Beleidigung zu kämpfen hat, als wenn er eine faire Chance bekommt. Und zwar gänzlich ungeachtet seiner Staatsangehörigkeit. Es ist doch viel einfacher, jemanden dazu zu bekommen, das zu tun, was man will, wenn man ihn aus dem Kreis der ungeliebten, ausgegrenzten und gemiedenen Menschen in eine "Gemeinschaft" holt und ihm Macht gibt. Im Falle von Terrororganisationen sogar die Macht über Leben und Tod. Wer "Das Experiment" kennt, weiß, was Macht aus Menschen macht. Statt ausländische Mitbürger ängstlich und kritisch zu beäugen und unter Generalverdacht zu stellen sollten wir ihnen eine faire Chance geben. Natürlich muss man nicht jeden mögen - aber man sollte es nicht von der Herkunft abhängig machen, wenn man mag und wen nicht. Und: selbst wenn derjenige ein Terrorist ist (und die Chance ist ja tatsächlich sehr, sehr gering) wird er eher Skrupel haben, uns zu töten, wenn er uns mag.....

Ja, es mag ungerecht anmuten, dass Menschen, die noch nichts in unser Sozialsystem eingezahlt haben, Geld daraus enthalten. Darüber beschweren sich aber bitte nur die Menschen, die tatsächlich mehr eingezahlt als abgeschöpft haben. Und die, die noch nie Sozialleistungen in Anspruch genommen haben, die ihnen streng genommen nicht zugestanden hätten. Und die, die noch nie das Recht gebeugt haben um einen eigenen Vorteil zu haben. Das schränkt den Kreis der Maulenden immens ein....
Und wer trotzdem über Steuerverschwendung schimpfen will, könnte ja auch mal im Schwarzbuch des Bundes der Steuerzahler nachschauen - da findet sich schon was, über das man mit Recht schimpfen kann....

 So, viele Worte, die einfach schon mal zu Beginn des Jahres rausmussten. Vielleicht bleibt ihr dann den Rest des Jahres davon verschont.
Ich wünsche Euch allen ein wunderbares Jahr 2016. Voller Entwicklung und Veränderung und Lernen und Spaß und Überraschung und Leben.