Sonntag, 20. November 2016

die Zeit ist irgendwie unberechenbar

Kennt Ihr das, dass manchmal die Zeit stehen bleibt. Oder rennt. Oder schleicht. Irgendwie verhält sie sich total unberechenbar.
Ich z. B. bin in meinem Kopf irgendwo zwischen 13 und 20 stehen geblieben. Auch mit 40 fühle ich mich innerlich irgendwie nicht anders als "damals".
Gestern ist mir das mal wieder sehr bewusst geworden.
Wir hatten nämlich 20jähriges Abiturtreffen. 
Immer wenn ich mir bewusst vor Augen führe, dass es ZWANZIG Jahre her ist, dass ich Abitur gemacht habe, DENKE ich, dass ich mich alt fühlen sollte. Sehr alt. Aber irgendwie kommt's im Hirn nicht an. 
Ich stand also gestern in "meiner" alten Schule, in der sich so vieles verändert hat, dass es schon gar nicht mehr wirklich "meine" Schule ist - und trotzdem fühlte es sich ein bisschen an wie daheim. Der Boden in der Eingangshalle ist noch der selbe wie damals. Einige der Gänge. Die Treppen, die Lichter... Zwar hängen andere Bilder, es gibt Durchgänge, die früher nicht da waren und Anbauten, die zu unserer Zeit noch nicht mal geplant waren. Es gibt Innenhöfe nicht mehr, die es damals gab und man muss zur Verdunkelung des Forums nicht mehr aufs bröckelige Flachdach klettern - und trotzdem flüstert es in allen Ecken "weißt Du noch?".

Ich war gerne in der Schule. Ich war gerne im Gymi. Ich hatte Höhen und Tiefen und Zeiten, in denen ich lieber in vielen Wahlfächern am Nachmittag war, als zu Hause. Ich habe während langer Theaterproben aufs Abi gelernt (oder auch manchmal eher nicht) und unzählige Stunden (also gut, man könnte sie zählen, aber ich habe keine Lust dazu) in diesen mehr oder weniger heiligen Hallen verbracht.

Und nächstes Jahr kommt für meinen Sohn der Übertritt an irgendeine Schule. Ich sollte also irgendwann zwischen damals und heute erwachsen geworden sein und da könnte man doch auch erwarten, dass man sich anders fühlt. Tu ich aber nicht. Ich fühle mich weder alt noch erwachsen noch sonst irgendwie. 

Ich glaube schon, dass ich mich entwickelt habe. 20 Jahre gehen an keinem wirklich spurlos vorüber. Aber ich glaube nicht, dass ich mich grundlegend verändert habe. 
Ich kann immer noch unglaublich albern sein, ich mache immer noch gerne PM-Rätsel, ich bin immer noch an meinem Husten überall zu erkennen, ich liebe es nach wie vor, mit Freunden die Nacht durch zu ratschen und wer will kann von mir immer noch zu fast jedem Thema meine Meinung haben. Ich bin nach wie vor spießig aber nicht mainstream.
Ich mag immer noch keine Menschen, die anderen nach dem Mund reden und so tun als wären sie etwas, das sie nicht sind. Noch immer verabscheue ich Unehrlichkeit, Schmarotzertum und Anbiederei. Ich kotze bei Sozialneid und Ausländerhass.

Tatsächlich hat sich also wohl nicht viel verändert.

Gestern hatte ich das Gefühl, dass das nicht nur bei mir so ist. Es waren ziemlich viele von unserem Jahrgang da. Die allermeisten habe ich sofort erkannt. Manche schon an ihrem Gang, ihrer Haltung oder ihrer Art zu sitzen. Bei manchen hatte ich das Gefühl, dass wir genau da weitermachen konnten, wo wir vor 20 Jahren aufgehört haben. Weil nicht nur ich mich nicht grundlegend verändert habe, sondern auch sie. 

Ich freue mich jetzt schon auf unser nächstes Klassentreffen. 
Nicht, weil ich zeigen muss, wer ich bin und wie toll ich bin sondern weil es einfach schön ist, Menschen zu treffen, die mich viele Jahre meines Lebens begleitet haben, mit denen ich Erfahrungen teile, die ich heute gar nicht mehr machen könnte und einen Abend zu verbringen, an dem ich ich sein darf - in einer Rolle, die es heute sonst für mich gar nicht mehr gibt. Nämlich als alter Schulkamerad. 

Leute, ich freu mich aufs nächste Mal. Vielleicht ja schon in 5 Jahren.
Danke für den tollen Abend und das Gefühl, in der Zeit zurück gereist zu sein. 
Danke für einen Abend voller Erinnerungen und aufgezogener Gedächtnis-Schubladen.
Danke für das Gefühl, noch immer ein Teil von etwas zu sein, was irgendwie auch nach Jahren noch Bestand hat.

Ich wünsche Euch, dass das Leben bis zum nächsten Treffen viele schöne Überraschungen für Euch bereit hält und Euch keine oder nur wenige Steine in den Weg legt.

Und vielleicht schaffe ich es ja, den einen oder anderen von Euch schon vor dem nächsten Klassentreffen wieder zu sehen. Mich würde es freuen.