Sonntag, 23. November 2014

Das (gedankliche) Riesengebirge

Ich habe vorhin mal in Gedanken durchgeplant, was ich morgen und die nächsten Tage so alles machen muss. Dabei kam ich von einem Termin zum nächsten und da muss ich noch hin und das muss ich noch machen - und schon baute sich in meinen Gedanken ein Riesengebirge auf, das kaum mehr zu überschauen war und das mir das Gefühl gab, das nie im Leben schaffen zu können.
Und dann kam mir ein Stück aus Momo in den Sinn, als Beppo Straßenkehrer sagt:

„Manchmal hat man eine sehr lange Straße vor sich. Man denkt, die ist so schrecklich lang; das kann man niemals schaffen, denkt man. Und dann fängt man an, sich zu eilen. Und man eilt sich immer mehr. Jedes Mal, wenn man aufblickt, sieht man, dass es gar nicht weniger wird, was noch vor einem liegt.
Und man strengt sich noch mehr an, man kriegt es mit der Angst zu tun und zum Schluss ist man ganz außer Puste und kann nicht mehr. Und die Straße liegt immer noch vor einem. So darf man es nicht machen. Man darf nie an die ganze Straße auf einmal denken, verstehst du?
Man muss immer nur an den nächsten Schritt denken, an den nächsten Atemzug, an den nächsten Besenstich. Dann macht es Freude; das ist wichtig, dann macht man seine Sache gut. Und so soll es sein.
Auf einmal merkt man, dass man Schritt für Schritt die ganze Straße gemacht hat. Man hat gar nicht gemerkt wie, und man ist nicht außer Puste. Das ist wichtig.“ (Michael Ende)
Den Text hatten wir in unserem Abi-Gottesdienst zum Thema "Wege" auch. Seit ich mich daran erinnert habe, ist alles nicht mehr so schlimm.
Mir ist nämlich klar geworden, dass ich zwar morgen einen neuen Job anfangen werde (ich werde zusätzlich zu meiner jetzigen Tätigkeit noch 12 Stunden pro Woche im Kindergarten arbeiten), dass sich aber sonst nicht viel ändern wird. Ich werde zukünftig halt nachmittags einkaufen gehen müssen - aber einen Job, den ich so leicht mit den Betreuungszeiten meiner Kinder unter einen Hut bringen kann hätte ich wohl kaum noch einmal finden können. Und alles andere wird sich mit der Zeit ergeben.
Mein gedankliches Riesengebirge ist daraufhin in sich zusammengebrochen und krümelt jetzt zu meinen Füßen, wo ich es morgen mittag, wenn ich zu Hause bin, wegsaugen werde.

Wenn ihr auch manchmal so einen Riesenberg vor Euch habt, der Euch lähmt, bei dem ihr überhaupt nicht wisst, wie ihr ihn angehen sollt, denkt immer daran: nur der nächste Schritt, nur der nächste Atemzug, der nächste Besenstrich.

Mittwoch, 12. November 2014

Fremdbild - Selbstbild und die Lücke dazwischen

Ich finde es ja eigentlich immer ganz spannend, wie mich andere Menschen sehen. Was sie von mir halten oder über mich denken. Manchmal finde ich mich in diesen Bildern tatsächlich wieder, manchmal gar nicht.
In der Arbeit war ich z. B. lange Zeit als unglaublich strukturierter Mensch geachtet. So habe ich mich nie gesehen. Bei mir regiert das Chaos - aber in den meisten Fällen habe ich das Chaos halbwegs im Griff. Ich weiß also in meinem Chaos z. B. WO was ist. Wenn ich aufräume heißt das danach immer suchen....
Diese Diskrepanz fand ich immer total spannend. Deshalb liebe ich auch so Spiele wie "Therapy" oder "Personality", in denen es genau um dieses Fremd- und Selbsteinschätzung geht und man unglaublich viel darüber erfährt, was andere von einem denken.
Momentan ist z. B. in der Arbeit der Fokus verschoben auf "immer schlecht gelaunt und nörgelnd". Dabei sehe ich mich so auch nicht. Es mag ja sein, dass mich derzeit Dinge nerven, die mich früher nicht gejuckt hätten, oder die ich früher angesprochen hätte. Nach einem Jahr "draußen" ist es nicht so einfach, Dinge anzusprechen, die einen stören ohne gleichzeitig in den Ruf des Ständig-Nörgelnden zu kommen.
Aber wer hat denn jetzt recht? Ich mit meiner Selbstwahrnehmung oder die anderen mit ihrer Fremdwahrnehmung? Oder beide? Ist es wie bei dem Bild, auf dem man Ente und Hase sehen kann, je nachdem, worauf die Augen springen? Oder die alte und die junge Frau?.


Und wie umgehen, mit dieser Diskrepanz? Als gegeben nehmen und warten, wie es sich entwickelt? Oder ansprechen und damit das Bild des Ständig-Nörglenden festigen? Oder ignorieren und dabei auch über die eigenen Gefühle hinweggehen? Immer wieder stellt sich die Frage: Hab ich da einen blinden Fleck, etwas, das ein Außenstehender also sehen kann, mir aber verborgen bleibt, ich nicht sehen kann oder will?
Alles nicht so einfach.
Ich habe mich für das Klären entschieden - und da ich trotz allem manchmal feig bin und konfliktträchtigen Situationen gerne aus dem Weg gehe, wenn es denn möglich ist, habe ich die Möglichkeit eines Briefes gewählt, um das zu tun. Ich bin ein großer Briefeschreiber und seit jeher von dieser Methode begeistert. Ich kann erklären, was ich meine, ohne, dass jemand anderes emotional dazwischengeht. Ich kann meine Gedankengänge zum Ende bringen und der andere muss nicht sofort reagieren, sondern hat die Möglichkeit, sich über adäquate Reaktionen Gedanken zu machen. Manches muss auch gar nicht besprochen werden, sondern einfach nur mal gesagt. Beim Schreiben sortieren sich meine Gedanken und meistens geht es mir hinterher einfach besser. Und aus eben diesen Gründen liebe ich Briefe. Außerdem finde ich, dass handgeschriebene Briefe zeigen, dass mir etwas wichtig ist, dass ich mir dafür die Zeit nehme und die mir die Mühe mache, etwas mit der Hand aufs Papier zu bringen.
Seit ich diesen Brief geschrieben habe, geht es mir besser. Ich fühle mich nicht mehr genervt und nicht mehr belastet, sondern habe es für mich geklärt. Insofern bin ich mir dieses Mal fast sicher, dass die Fremdwahrnehmung nicht unbedingt etwas mit mir zu tun hat, sondern mehr über mein Gegenüber sagt, als über mich.

Samstag, 8. November 2014

Abschiede

Kennt ihr das, dass sich die Wahrnehmung verschiebt, wenn sich etwas verändert? Wenn man sich ein Auto kauft, fallen einem plötzlich alle Autos des selben Typs auf, egal wie selten die sind, plötzlich sieht man sie überall.
Ähnlich ist es, wenn man an irgendetwas erkrankt. Man lernt überproportional viele Leidensgenossen kennen. Klar, man treibt sich ja ständig bei irgendwelchen Fachärzten rum. Beim Onkologen andere Krebskranke zu treffen ist einfach relativ wahrscheinlich.
Das wiederum bedingt, dass man sich immer wieder - gewollt und ungewollt - mit dem Tod und dem Sterben auseinandersetzen muss. Im letzten Jahr sind mind. 3 Menschen gestorben, die mit mir zeitgleich in Therapie waren. Manche davon kennt man nur vom Hörensagen, da ist das nicht ganz so schlimm. Andere wiederum kennt man besser, die wurden zum Teil des eigenen Lebens, waren vielleicht sogar Freunde. Und wenn jemand Nahestehendes stirbt, kommt die Angst-Keule von hinten. Denn dann wird einem wieder bewusst, dass Krebs zwar durchaus heilbar ist - aber eben nicht immer. Dass man an Krebs nach wie vor sterben kann. Und dass einem keiner je die Garantie geben kann, das man daran nicht sterben wird. Letztlich bis man tot ist und irgendwer feststellen kann, woran man denn tatsächlich gestorben ist.
Ich war vor einigen Wochen auch wieder auf der Beerdigung einer solchen Person. Einer starken Frau, die jahrelang gegen den Krebs gekämpft hat. Eines wunderbaren Menschen, der bis zum Ende Lebensfreude und Lebensmut ausgestrahlt und weitergegeben hat. Eines Menschen, der eine große Lücke zurückgelassen hat, aber auch Erinnerungen an wunderschöne Momente.
Ihr widme ich den heutigen Blogeintrag.
Sonja, ich bin stolz, Dich gekannt zu haben, ich bin froh, Deine Bekanntschaft gemacht zu haben und ich bin traurig darüber, dass es unsere Freundschaft nicht länger wachsen und reifen konnte. Nichtsdestotrotz habe ich eine ganze Ladung voller Erinnerungen an Dich, die mir niemand mehr nehmen kann.

Falls sich jemand über das Foto wundert oder es zum nicht passend zum Thema findet - Sonja hat die Mädels gemocht und fand meine Fotos von den lachenden Kindern immer besonders schön - sie hat auch in schweren Zeiten immer wieder ein lachendes Kinderbild von mir geschickt bekommen. Deshalb auch hier die lachenden Kinder.


Sonntag, 2. November 2014

"...letters I´ve written, never meaning to send..."

Wenn mich Dinge aufregen, schreib ich ganz oft Briefe, die ich dann nicht versende. Vielleicht kennen das ein paar von Euch auch. Besonders mit Behörden etc. passiert mir das immer wieder. Diese Woche war es wieder mal so weit.
Ich habe nach der Entfernung meiner Eierstöcke und der zweiten Brust beim ZBFS einen Verschlimmerungsantrag gestellt zur Neuberechnung des GdB. Dabei habe ich auch die Emfpindungsstörungen in den Händen angegeben (mittlerweile habe ich die auch in den Füßen, aber ist ja egal).
Im Bescheid hieß es dann "die mit der Gesundheitsstörung Gefühlsstörungen im Bereich der Finger verbundenen Einschränkungen bedingen keinen GdB von wenigstens 10. Die Berücksichtigung bei der Feststellung des GdB ist daher nicht möglich."
Coole Nummer. Der Brief an Frau XXXX vom ZBFS würde sich in etwa wie folgt lesen:

Sehr geehrte Frau XXX,
mit großer Verwunderung habe ich ihrem Bescheid entnommen, dass die Gefühlsstörungen im Bereich der Finger keine zu berücksichtigenden Einschränkungen bedingen. 
Haben Sie schon einmal versucht, mit tauben oder kribbelnden Fingern zu stricken, zu nähen oder zu häkeln? Sie sind nicht handwerklich begabt? Spielen sie ein Instrument? Wenn ja: Schon mal versucht, mit tauben Fingern Gitarre oder Klavier zu spielen? Oder gehen wir in die normalen Haushaltsaufgaben: Zwiebeln schneiden? - Glauben Sie mir: sehr schmerzhaft, wenn man den Schnitt erst merkt, wenn er richtig tief ist.
Sollten Sie nach wie vor der Meinung sein, dass das alles im Alltag nicht einschränkt (verzichten wir halt auf Handarbeit, Musik und Kochen) - wie wäre es mit einem kleine Experiment? Das können Sie bei Ihrer vorwiegend sitzenden Tätigkeit durchaus in ihren normalen Arbeitsalltag integrieren: Setzen Sie sich so lange auf Ihre Hände, bis die Finger komplett taub sind. Keinesfalls beim ersten Kribbeln aufhören. Warten sie, bis es richtig fies ist. Wenn Sie an diesem Punkt ankommen, versuchen Sie mal, Ihre Bluse mit den tauben Fingern aufzuknöpfen, ihren Hosenknopf zu schließen, ihre Schuhe zu binden oder die Haken ihres BHs zu schließen. Und wie verändert sich Ihre Maschinen-Schreib-Leistung mit kribbelnden Fingern?
Sollten Sie das alles ohne Probleme schaffen, sind sie motorisch geschickter als ich.

Gerne können Sie dieses Experiment auch vor dem Schlafengehen wiederholen. Am Besten schlagen Sie dabei noch die Beine übereinander, damit zumindest ein Fuß ebenfalls kribbelt. Dieses Kribbelgefühl kann man dann im Bett besonders genießen. 
Der Unterschied zwischen dem Experiment und meiner tatsächlichen Situation ist, dass bei Ihnen das Kribbeln bereits nach kurzer Zeit wieder aufhören wird - bei mir ist es permanent vorhanden und betrifft mittlerweile nicht nur die Hände, sondern auch die Füße.
Wenn wir ganz ehrlich sind, ist es die Einschränkung, die mich im Alltag am meisten betreffen.
Mit freundlichen Grüßen,
...

So, oder so ähnlich würde sich der Brief wohl lesen, wenn ich ihn denn schriebe...