Sonntag, 29. September 2013

so ist das mit der Angst

Kennt ihr das? Es ist scheinbar alles in Ordnung und - whum - fällt dem Leben irgendein Prügel in die Hand, den es Euch zwischen die Füße hauen könnte.
Jetzt gibt es Leute, die tänzeln durchs Leben und kommen dabei (anscheinend) diesen Prügeln aus (vielleicht kommen sie auch nur geschickt darüber). Dann gibt es welche, die scheinbar unbeirrt ihren Weg entlang stapfen, ohne sich von derartigen Stolpersteinen aufhalten zu lassen und welche, die übers kleinste Stöckchen fallen und jammern. Es gibt einige, die versuchen, durch gute Planung den fiesen Fallen zu entkommen und andere, die permanent alles nach Hindernissen absuchen, um sie zu umgehen. Wieder andere nehmen ein Ziel ins Auge und gehen darauf zu - und wenn ein Hindernis kommt schauen sie, ob es drum herum oder drüber besser geht.
Bislang habe ich gedacht, ich gehöre zu letzterer Gattung. Von allzuviel Planung halte ich nichts, weil sie sich im Leben meist nicht durchziehen lässt - mit Kindern schon gar nicht. Völlig ziellos bin ich aber auch nicht gerne. Ich jammere zwar gerne mal - aber wer tut das nicht?
Tja, und dann kam ein Prügel, von dem ich wusste, dass er kommt - und der mich trotzdem kalt erwischt hat.

Dazu muss ich jetzt ein bisschen erklären.
Als ich 11 war, erkrankte meine Mutter an Brustkrebs. Nach Amputation, massiver Chemo-Therapie und jahrelanger Nachsorge galt sie als geheilt. Trotzdem blieb die Angst. Denn schon ihre Mutter und deren Schwester waren an Brust- und Unterleibskrebs gestorben. Ihre Cousine erkrankte in den Jahren darauf ebenfalls - und erlag der Krankheit.
Mir wurde ein Gentest angeboten, ich habe abgelehnt - mich würde das Wissen nur belasten, ich hätte aber keinen Nutzen davon. Sensibilisiert für das Thema "Krebs" war ich eh. 2005 erkrankte meine Mutter erneut - diesmal in der anderen Brust. Es folgt wieder eine OP, wieder Chemo und Bestrahlung. Meine Mutter hat es wieder geschafft, weil sie eine starke Frau ist. 2 Jahre später erkrankte ihre Schwester und starb an einem Rezidiv - besser gesagt an einer Hirnmetastase.

Soviel zur Vorgeschichte. Krebs ist und war also in unserer Familie immer ein Thema (auch wenn es nach wie vor einige gibt, die diesem Thema damit begegnen, den Kopf in den Sand zu stecken).
Da ich mittlerweile drei Kinder habe, davon zwei Töchter, und außerdem die Haltung einiger Krankenkassen zum Thema "Früherkennung" kenne, hat sich meine Einstellung zum Gentest geändert. Wenn er nichts bringt, so doch die Möglichkeit bereits frühzeitig in ein engeres Überwachungsnetz zu kommen. Daher habe ich meine Mutter dieses Jahr gebeten, mit mir zur genetischen Beratung zu gehen. Eigentlich wollte ich sie nur mitnehmen, weil sie die familiären Belastungen und die Erkrankungsjahre besser zusammenbekommt als ich, die ich nicht mal die zahlreichen Geschwister meiner Oma benennen könnte (schließlich sind ja einige schon vor meiner Geburt gestorben). Heraus kam allerdings, dass bei ihr und bei mir Blut abgenommen wurde, um eine etwaige genetische Disposition festzustellen, die nach unserem Genogramm sehr wahrscheinlich erschien.

Mit dem Wissen ist es so eine Sache - nicht immer ist Wissen die bessere Alternative. Das Ergebnis unseres Gentests lautete: BRCA1 positiv.
Die Wissenschaft hat mittlerweile mehrere Gene extrahiert, die sich auf die Wahrscheinlichkeit von Tumorerkrankungen auswirken. Zwei davon sind die Gene BRCA 1 und BRCA 2. BRCA kommt von BReast CAncer - also Brustkrebs. Liegen diese beiden Gene in ihrer gesunden Form vor, unterdrücken sie die Neigung zur Bildung bösartiger Tumoren in der Brust und in den Eierstöcken. Liegen sie in einer mutierten Form vor (so wie bei uns), fällt dieses Unterdrückung weg - und das Krebsrisiko steigt. Und zwar steigt es gar nicht unerheblich.
Das Risiko einer gesunden Frau liegt bei etwa 10 % irgendwann in ihrem Leben (bei den meisten erst nach dem 60. Lebensjahr) an Brustkrebs zu erkranken.
Bei Vorliegen einer Mutation des BRCA1-Gens liegt diese Wahrscheinlichkeit dagegen bei etwa 85% - außerdem sinkt das Ersterkrankungsalter. Auch das Risiko an Eierstockkrebs zu erkranken ist um etwa 50% erhöht.
Jetzt sollte man meinen, dass es keinen Unterschied macht, ob man vor dieser Untersuchung Risikopatient ist oder nachher. Aber: OH DOCH - es macht einen gewaltigen Unterschied. Es ist nämlich was anderes, ob man "halt ein erhöhtes Risiko" hat (das kann ja auch bei 15% oder 20% liegen) oder ob man weiß, dass das Risiko bei 85% liegt (85% ist schon ne Hausnummer. Hätte ich ne 85% Chance im Lotto zu gewinnen, würde ich ernsthaft spielen...)

Sooooo. Jetzt haben wir alle Fakten. Ich komme aus einer krebsbelasteten Familie. Ich habe ein mutiertes Gen. Ich habe es mit einer jeweiligen Wahrscheinlichkeit von 50% an meine Kinder weitergegeben.
Ich bin aber erst 36. Meine Mutter war zum Zeitpunkt der Ersterkrankung 44, meine Tante über 60 - ich habe also noch Zeit... dachte ich. Bis letzte Woche.
Letzte Woche habe ich eine Verhärtung getastet. Klar, kann sein. Knubbel und so kennt ja jede Frau in ihrer Brust. Die kommen und gehen mit jedem Zyklus. Aber der war anders. Der war - naja - hart. Ich konnte ihn tasten, mein Mann konnte die Verhärtung tasten, meine Mutter konnte sie tasten. Und jeder hat sofort gesagt: Ruf beim Frauenarzt an.
Da ich einen super Frauenarzt habe, hatte ich bereits am Tag nach dem Anruf einen Termin. Und er war nach dem Ultraschall nicht wirklich beruhigt. Da war eine Elipse mit etwa 7.9*5,1*4,7 mm, bei der er nicht guten Gewissens Entwarnung geben konnte und deshalb hat er mich sofort weitergeschickt, zu einem Radiologen, bei dem ich schon zweimal zur Mammographie war. Dort wurde am Freitag eine Stanzbiopsie gemacht (und die 3. Stanze tat weh -ohja!)  - und er konnte ebenfalls nur sagen: "Ich hab ein blödes Gefühl". DAS von einem Arzt gesagt zu bekommen ist in etwa so, wie von einem Automechaniker nach dem Blick unter die Motorhaube das altbekannte "oh-oh" zu hören... Nur soviel: ES BERUHIGT NICHT WIRKLICH.

Und jetzt sitze ich hier und dieser kleine, miese Angstwurm frisst sich durch meine Gedärme und mein Hirn.
Ich weiß, dass es alles mögliche sein kann und nur EINE Möglichkeit davon Krebs ist. Ich weiß, dass auch ein bösartiger Tumor beileibe kein Todesurteil ist. Ich weiß, was im Falle eines bösartigen Tumors auf mich zu käme: OP, Chemo, evtl. Strahlen. Ich weiß, dass das alles kein Vergleich mehr zu der Zeit vor 20 Jahren ist - und trotzdem habe ich Angst.
Ich habe Angst davor, was das mit meiner Beziehung und meiner Familie machen wird (meine Mutter war nach ihrerer Ersterkrankung nicht mehr die selbe und die Beziehung zu meinem Vater, die vorher schon nicht die Beste war, danach total im Eimer). Ich mache mir Sorgen, wie wir die Kinder, die schließlich erst 6, 5 und 2 sind durch diese Zeit bringen können. Ich frage mich, wie wir mit dem Verdienstausfall klar kommen werden - bei 70% Krankengeld fehlen nämlich mal locker 250 Euro im Monat. Ich  überlege mir, ob ich vielleicht trotz Chemo weiterarbeiten kann oder ob das zuviel Kraft kostet - andererseits bringt es einen geregelten Ablauf und ein bisschen Abwechslung und das Gefühl, etwas zu leisten. Ich habe Angst davor, dass hier alles viel besser läuft, wenn "andere" (mein Mann, meine Schwiegermutter, meine Mutter, ...) alles schmeißen und ich eigentlich nicht gebraucht werde. Ich fürchte mich vor den Schmerzen - die ja, wie wir wissen in der Vorstellung meist viel schlimmer sind, als in der Realität - der Übelkeit, dem Haarausfall und den Nebenwirkungen. Und das alles, obwohl es auch ganz harmlos sein kann.
Ich habe seltsamerweise nur selten Angst davor, zu sterben. Ich habe nicht das Gefühl, als stünde das jetzt direkt vor der Türe. Und ich habe ja auch noch einiges zu erledigen, bevor ich hier abtrete (ich muss zum Beispiel Eleonore in Kreta besuchen), muss noch ganz schön viele Leute ärgern, muss meine Schwiegerkinder noch zur Weißglut bringen und meine Enkel verhätscheln... Die To-Do-Liste ist also noch lange nicht abgehakt und somit Sterben auch noch lange keine Alternative.
Aber der Rest macht mir so große Angst, dass sie mir manchmal wie ein riesiger Klumpen im Magen liegt und der Kloß im Hals so groß wird, dass ich beinahe nicht mehr schlucken kann.
Da ich aber Sozialpädagogin aus voller Überzeugung bin, weiß ich, dass Reden hilft -und schreiben auch. Ich schreibe immer schon Briefe, wenn etwas von der Seele muss - und diese Angst muss von meiner Seele, weil ich sonst kaputt bin, bis ich nächste Woche irgendwann die Ergebnisse kriege.
Und daher schreibe ich jetzt diesen Blog.
Sollte sich rausstellen, dass NICHTS ist, wird der Blog wieder einschlafen bzw. ich werde ihn wieder löschen.
Sollte sich rausstellen, dass es Krebs ist, wird mich dieser Blog als selbstgewähltes therapeutisches Mittel begleiten und für mich eine Möglichkeit sein, den ganzen Mist, der dann auf uns zukommt, zu verarbeiten. Und vielleicht lesen ihn ja auch ein paar Menschen, denen er Kraft geben kann oder die mich auf diesem Blog begleiten und mir etwas von ihrer Kraft abgeben.

So, der erste Post ist lange geworden - so lange werden die nächsten wahrscheinlich nicht mehr. Wahrscheinlich. Aber wer weiß das schon. Wie war das mit den Sozialpädagogen und dem Reden? Da wir für's Reden Geld kriegen, ist Reden für uns extrem positiv besetzt und verstärkt - uns bringt man da nichts davon ab. Wir reden gerne. Da müsst ihr durch, wenn ihr hier lesen wollt.
Allerdings monologisieren wir gar nicht so gerne und darum freue ich mich immer über Rückmeldungen von Euch.
Für heute reicht es aber jetzt.
Macht's gut und gute Nacht.
Eure
Julia

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