Samstag, 22. März 2014

Jack in the box

Ich habe ja gerne mal behauptet, wer Terry Pratchett liest kann eigentlich keine Angst vor dem Tod haben.
Bei Prachett ist der Tod beinahe in jedem Buch gegenwärtig. Er ist der klassische Tod - ein großes Gerippe mit schwarzem Umhang und Sense oder Schwert. Und trotzdem entspricht er nicht ganz diesem althergebrachten Bild vom Sensenmann. Zum einen, weil er versucht, die Menschen zu verstehen und sich für das Wesen des Menschseins interessiert und dabei oft ganz schön viel Gefühle (und Humor) zeigt. Zum anderen, weil er auf einem großen weißen Pferd reitet, das Binky heißt (er hat es schon mit Knochenrössern versucht, aber die fielen auseinander und die Feuerrösser neigten dazu, den Stall anzuzünden...).
Kann man Angst haben, wenn ein weißes Pferd namens "Binky" vor einem steht und der Knochenmann der daraufsitzt noch schnell ein Curry holen muss? Schwerlich...
Außerdem gefällt mir Pratchetts Einstellung zu dem, was danach kommt. Wenn die Seelen vom Körper getrennt sind, kommen sie in eine Art "Zwischenwelt". Gefragt, was denn nun passiert, antwortet Tod einmal: "Das, was DU willst".
Das trifft (glaube ich) ziemlich genau den Punkt.
Ich persönlich glaube nicht an Wiedergeburt. Ich will weder als Ameise noch als Mensch wiederkommen. Ich lebe gerne, aber ich glaube, mir reicht einmal.
Die Geschichte mit Himmel und Hölle, gemessen werden, Fegefeuer und ewiger Verdammnis finde ich ebenfalls eher unangenehm. Nicht, weil ich ein so schlechtes Leben geführt hätte, dass ich Angst vor ewiger Verdammnis hätte. Ich lebe durchschnittlich gut. Es gibt sicher noch Möglichkeiten nach oben, aber ich habe noch niemandem etwas wirklich Böses getan.
Was will ich also dann? Keine Ahnung. Ruhe wäre aus jetziger Sicht ganz angenehm - ich habe aber ja schon gelernt, dass das was man sich vorstellt und das, was dann rauskommt nicht immer das selbe ist. (Es heißt nicht umsonst: "Überlege Dir, was Du Dir wünscht, es könnte in Erfüllung gehen.") Ruhe wäre also ziemlich schnell ziemlich langweilig.
Glücklich sein wäre auch schön - das habe ich jetzt auch und finde es ganz angenehm.
Aber wie das konkret aussehen soll, weiß ich nicht. Park mit grünen Bänken? Weiße Wolke und Harfe in den Händen, Hosianna singen und Manna? Grünes, hügeliges Land? Keine Ahnung.
Und wenn ich ganz ehrlich bin, will ich auch nicht so wirklich drüber nachdenken. Ich würde gerne in einem Friedwald liegen - aber das gibt es in unserer Nähe leider noch nicht. Meine Bereitschaft darüber hinaus über das Sterben und den Tod usw. nachzudenken ist hingegen drastisch gesunken. Und das liegt wohl daran, dass ich sehr wohl Angst vor dem Tod habe.
Nicht konkret davor, heute oder morgen zu sterben, sondern davor, nicht alt zu werden und meine Kinder nicht aufwachsen zu sehen, keine Enkel kennenlernen zu dürfen, nicht mit meinem Mann als Rentner auf unserem Hausbänkchen in der Sonne zu sitzen.
Angst davor, ein Rezidiv zu entwickeln, neu zu erkranken, Metastasen zu bekommen.
Angst davor, den ganzen Mist nochmal durchmachen zu müssen und am Ende den Kampf zu verlieren.

Jack in the Box von artist and architects.

http://galerie.designnation.de/bild/34775
Dazu kommt dann noch die Angst, eines meiner Kinder in dieser Situation erleben zu müssen.
Diese ganzen Ängste habe ich normal säuberlich verpackt in einer Kiste in mir stehen. Nur manchmal habe ich das Gefühl, dass diese Kiste eigentlich ein Pulverfass ist und die Lunte brennt - und ich nicht weiß, wie lange noch. Die Kiste ist wie ein "Jack in the box" (wie heißen die Dinger auf Deutsch? Kistenteufel?). Plötzlich springt der Deckel hoch und es hat mir den gesamten Inhalt ins Gesicht.
Genau dieser Kontrollverlust mach mir Schwierigkeiten. Nicht ich bestimme, wann das Pulverfass hochgeht, wann Jack aus der Box kommt. Und das ist ein extrem unangenehmes Gefühl.
Um das zu vermeiden, versuche ich momentan, alle Situationen zu meiden, die das Hochgehen auslösen könnten. Ich will nichts über Rezidive, Neuerkrankungen, Metastasen und das Sterben hören.
Das Leben ist diesbezüglich allerdings nur selten kooperativ. Vielleicht meint es auch, dass ich gefälligst lernen muss, mit meinen Ängsten umzugehen - und konfrontiert mich gerade deshalb immer und immer wieder mit genau diesen Themen. Da sterben Menschen, die ich im Internet "kennengelernt" habe, die nur 1 Jahr älter sind als ich und die lange gegen den Krebs gekämpft haben. Da häufen sich die anrührenden Bilder von Menschen, denen ihre letzten Wünsche erfüllt werden. Da gibt es Nachrichtenmeldungen von Promis, die ihrer Krankheit erliegen...
Langfristig gesehen werde ich mich stellen müssen. Kurzfristig gesehen mache ich - soweit es geht - weiterhin die Augen zu. Es geht aber eben nicht immer.

Deshalb für alle, die den Kampf gegen den Krebs oder gegen andere Krankheiten oder das Leben an sich verloren haben: Macht es gut, wo immer ihr seid und was immer ihr euch ausgesucht habt, wie es weitergeht.
Für Euch hier eines meiner Lieblingsgedichte:

Do not stand at my grave and weep
Mary Elizabeth Frye

Do no stand at my grave and weep,
I am not there, I do not sleep.
I am a thousand winds that blow
I am the diamond glints on snow
I am the sunlight on ripened grain
I am the gentle autumn rain.

When you awaken in the morning's hush
I am the swift uplifing rush
Of quite birds in circled flight
I am the soft stars that shine at night.
Do not stand a my grave and cry
I am not there, I did not die.

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