Montag, 11. August 2014

Bilanz

Ein ziemlich turbulentes Jahr meines Lebens neigt sich seinem Ende zu und das ist doch mal eine gute Gelegenheit, um Bilanz zu ziehen und um Danke zu sagen:
Zuerst das Danken:

Besonderer Dank gilt meinem allerliebsten Lieblingshasen, der mich nie auch nur eine Sekunde daran zweifeln lies, dass wir das Ganze gemeinsam durchstehen und dass er mich mit und ohne Brüste, mit und ohne Eierstöcke, mit und ohne Haare und überhaupt einfach so wie ich bin liebt.

Besonderer Dank gilt außerdem meinen Kindern, die ebenfalls den ganzen Dreck mit durchgestanden haben und keinen allzugroßen Knacks davongetragen haben, dafür, dass sie so sind, wie sie sind. Toll, neugierig, kreativ, nervig, aufbrausend, quengelig, tollkühn, liebevoll, bewegend und einfach meine.

Danke auch an meine Mutter und meine Schwiegermutter, die quasi permanent Gewehr-bei-Fuß-standen und die Kinder versorgt haben, mich gefahren haben, die Wäsche und den Einkauf übernommen haben, uns bekocht und verpflegt haben und einfach immer da waren, wenn wir sie gebraucht haben. DANKE.

Das letzte Jahr hat mich ein paar Freunde gekostet (wobei das glaube ich unabhängig vom Krebs und eher auf ein allgemein notwendiges Aussortieren zurückzuführen war).
Gleichzeitig habe ich von wirklich vielen Menschen (auch von sehr unerwarteten Seiten) unglaubliche Unterstützung erhalten. Danke an alle, die in den letzten Monaten an meiner/unserer Seite waren und uns in so vielfältiger Art und Weise unterstützt haben. Egal, ob durch das Übernehmen von Babysitterdiensten oder ein offenes Ohr zur richtigen Zeit, ob durch Taxidienste, eine Tasse Kaffee oder durch sonst irgendetwas. Danke, dass Ihr da seid und dass es Euch gibt.

Und dann die Bilanz:
  • Ich habe mehr als 1 kg Gewicht in weniger als 5 Stunden verloren (durch Abnahme beider Brüste). Gleichzeitig habe ich mein genetisches Brust- und Eierstockkrebsrisiko durch die Entfernung der selben auf ein Mindestmaß reduziert.
  • Ich bin um 8 Narben reicher geworden, mit denen ich jetzt angeben kann. Wenn ich jemandem nicht alles zeigen will, kann ich ja mal vorsichtig mit den beiden Port-Narben anfangen :-)
  • Ich habe es überstanden, dass 6x richtig heftige Chemie durch meinen Körper gepumpt wurde (und ich bin nach wie vor nicht sicher, ob es nicht eigentlich Pflanzenschutzmittel waren  :-) )
  • 28 Bestrahlungen haben eine einseitige Vor-Bräunung hinterlassen - und sonst nichts 
  • Ich kann mir ab jetzt meine Brustgröße nach der Kleidung wählen, was das Einkaufen einfacher gestaltet und mich wesentlich flexibler macht. Beschränkender Faktor sind jetzt Beine und Po...
  • Ich habe viele Menschen kennengelernt, die das Schicksal "Krebserkrankung" teilen. Dabei durfte ich feststellen, dass es annähernd so viele verschiedene Bewältigungsstrategien wie Betroffene gibt und dass ich nicht mit allen Bewältigungsstrategien kann.
  • Ich habe einige wirklich tolle, starke Menschen kennengelernt, die ich sonst nicht kennengelernt hätte, wofür ich wirklich dankbar bin und hoffe, dass sie noch weiterhin mit mir auf meinem Lebensweg gehen werden.
  • Ich habe ein neues Hobby für mich entdeckt - das Fotografieren.
  • Ich habe unglaublich tolle Fotos von mir und von uns als Familie bekommen.
  • Ich hatte endlich mal wieder Zeit, ganz schön viele Bücher zu lesen.
  • Ich freue mich wieder richtig auf meine Arbeit.
  • Ich glaube nicht, dass ich ein grundlegend anderer Mensch geworden bin - wobei mich diese "Grenzerfahrung" mit Sicherheit verändert hat. Wie genau mich dieses Jahr verändert hat können wohl die Menschen in meinem Umfeld besser beurteilen.
  • Ich bin Besitzer einer modischen Kurzhaarfrisur und weiß jetzt, dass man mit Glatze immer einen Sonnenhut tragen sollte.
  • Schweißausbrüche und sonstige Wechseljahrsbeschwerden sind mir nicht mehr fremd (ich kann mir jetzt vorstellen, wie sich ein Stück Fleisch fühlt, das man im eigenen Saft brät...)
  • Manchmal, wenn ich nachts um 3 nicht schlafen kann (s.o. "Wechseljahrsbeschwerden) mache ich mir Gedanken über meine Kinder und das vertrackte Gen.
  • Dank Cortison ging es mir während der Chemo relativ gut, so dass ich alles essen konnte. Blöderweise hat das Cortison mir aber auch das Satt-Gefühl genommen, was mit insgesamt ca. 10 kg mehr auf der Waage zu Buche schlägt (abzüglich des einen Kilos Brustdrüsengewebe macht das immer noch 9 kg zu viel...Ich werde wohl doch Sport machen müssen)
  • Ich habe jetzt den offiziellen Beweis dafür, dass ich nicht der Norm entspreche.
  • Ab und zu bin ich unglaublich müde. Da sucht mich so richtige bleierne Müdigkeit heim. Kommt wahrscheinlich vom Alter.
  • Ich glaube, ich bin gelassener geworden. Ruhiger. Zentrierter. Oder auch nicht...
  • Ich hatte viel Zeit um über alle möglichen mehr oder weniger philosophischen Dinge nachzudenken. Die Ergüsse durftet ihr dann hier ertragen. Die Zeit zum Nachdenken und Neu-Denken und auch mal Nicht-Denken habe ich wirklich genossen.
  • Mit Wenigem zufrieden sein musste ich nicht lernen, das konnte ich vorher schon. Nichtsdestotrotz habe ich das auch in diesem Jahr weiter perfektioniert. Sonne auf der Glatze, der Geruch der blühenden Linde, das Lachen meiner Kinder - all das genießen zu können ist wirklich toll.
  • Mein Körper und ich haben eine andere Verbindung. Was zugegebenerweise nicht immer gut ist. Manchmal höre ich zu tief in mich hinein und jedes Ziepen löst leichte Panikattacken aus. Insgesamt siegt aber doch meistens der Kopf, der mir sagt: "Alles ist gut". Trotzdem habe ich im vergangenen Jahr ein paar Mal meine eigenen Grenzen gesehen - sei es, weil sie um einiges enger gesteckt sind als früher, sei es, weil ich achtsamer bin. Ein paar davon habe ich akzeptiert und ein paar davon habe ich schon nach außen geschoben.
  • Schwarzer Humor und die Fähigkeit, manchmal eine Ahnung von der Ironie des Schicksals zu erhalten haben mich vor psychischen Abstürzen bewahrt. Die hielten sich in der ganzen Zeit wirklich in Grenzen (worüber ich sehr froh bin)
Alles in Allem war es ein Jahr, auf das ich gut hätte verzichten können, das aber durchaus auch wesentlich schlimmer hätte sein können. Da ich ja eh nichts daran ändern kann, ist es jetzt eben ein Teil meines Lebens. Ich habe einiges gelernt und aus dem Meisten das Beste gemacht.
Und weiterhin heißt es: Leben, leben, leben! So lange und so gut wie irgend möglich.

Danke an alle Leser, dass Ihr dieses letzte Jahr an meiner Seite durch die Höhen und Tiefen gestolpert seid. Hier wird es wahrscheinlich in Zukunft ein bisschen ruhiger - vielleicht aber auch nicht. Ich weiß es noch nicht, wie sehr mich das Bedürfnis zu schreiben weiter begleiten wird. Schließlich habe ich ja eigentlich gar nicht so viel zu sagen. Aber wahrscheinlich werde ich schon noch ein bisschen weiterbloggen. Wäre ja sonst langweilig, oder?

1 Kommentar:

  1. da bleibt mir nur zu schreiben
    wie schön, dass es dir so gut geht !!!!! Ich freue mich tatsächlich sehr darüber, diese zeilen lesen zu können.
    LG heiheu

    AntwortenLöschen