Mittwoch, 2. April 2014

Kinder und Krebs - oder besser: Kinder und "schwierige" Themen

Wie ihr alle wisst, habe ich drei Kinder. Auch in meiner Arbeit als Schlaubischlumpf in der sozialpädagogischen Familienhilfe (oder wie eine Freundin von mir immer sagt: Als "Sozialpäda-Dingsbums") habe ich viel mit Kindern und Jugendlichen - und sehr viel mit unangenehmen Themen zu tun.
Unangenehme Themen begleiten uns durch unser Leben. Egal, ob es um Trennungen, Krankheit, Tod oder weniger dramatische Dinge wie schlechte Noten, knappe Finanzen oder blöde Lehrer/Chefs/Kollegen geht - man kann sich im Leben eben nur bedingt aussuchen, was man kriegt.
Wichtig ist, dass man lernt, derartige Situationen auszuhalten und damit umzugehen. Und je früher wir das lernen - mit liebevoller Unterstützung versteht sich - desto besser ist es, desto mehr Bewältigungsstrategien können wir lernen, desto öfter werden wir erleben, dass man auch mit Schwierigkeiten klar kommen kann. Das ist die eine Seite.
Die andere Seite ist, dass ein offener Umgang mit schwierigen Themen der Entstehung von Ängsten entgegenwirkt.
Wie oft habe ich in den letzten Jahren schon gehört: "Dafür ist er/sie noch zu klein." - "Das ist kein Thema für ein Kind." - "Das muss er/sie jetzt noch nicht sehen/wissen/kennenlernen" - "Davor muss ich mein Kind schützen."
Ja, es stimmt. Es gibt Themen, die nichts für Kinder sind. Was Papa und Mama im Bett treiben, geht ein Kind - egal welchen Alters - erst Mal nichts an. "Gern haben" oder "Kuscheln" reicht da wirklich erst Mal aus.
Dass man sich trennt, weil der Papa lieber mit der jungen Sekretärin das Bett teilt oder weil Mama der neue Nachbar besser gefällt ist auch nichts, was die Kinder etwas angeht. Das Thema für die Kinder wäre, dass Papa und Mama sich eben nicht mehr gegenseitig lieben und dass das weh tut - aber im Leben eben vorkommt.
Was jedoch durchaus ein Thema für Kinder ist, ist, dass die Oma im Krankenhaus ist und vermutlich nicht mehr heimkommen wird. Auch mit der Tatsache, dass Papa oder Mama schwer krank sind können Kinder umgehen lernen. Genauso wie mit dem traurigen Fall, dass die Katze, der Goldhamster oder das Kaninchen gestorben sind. 
Wichtig ist, dass man selbst es den Kindern zutraut, damit umzugehen. Dass man ihnen die Möglichkeit gibt, in ihrem Tempo die Informationen zu holen, die sie a) brauchen und b) verarbeiten können und dass man ihnen die nötigen Informationen in einer Art und Weise anbietet, die ihrem Alter und ihrem Entwicklungsstand angemessen sind. Für derartige unangenehmen Themen gibt es kein geeignetes Alter. Es gibt aber auch kein "zu jung" oder "zu alt". Es kommt im Leben, wenn es kommt - und wenn es kommt, muss man damit umgehen. Ob man 3, 37 oder 73 ist. 
Meine Erfahrung ist: Wenn Kinder keine Informationen bekommen, wenn sie "geschützt" werden und man nicht oder nur sehr Bruchstückhaft und beschwichtigend mit ihnen spricht, kommt meist das Gegenteil des Erwünschten dabei heraus. Kinder merken nämlich ganz genau, dass etwas nicht stimmt, dass wir Großen uns Sorgen machen, Angst haben oder traurig sind. Und wenn sie dann keine ausreichenden Gründe dafür bekommen, reimen sie sich in ihren süßen kleinen Köpfchen Dinge zusammen, die wir Erwachsenen uns nicht mal annähernd vorstellen können. Von den Horrorszenarien, die sich in Kinderköpfen abspielen, könnte Stephen King sich noch eine Scheibe abschneiden.

Meine Schlaubi-Schlumpf-Ratschläge sind daher:
  1. Seid ehrlich - zu Euch selbst und zu Euren Kindern.
    Dass jemand stirbt, macht einen traurig. Aber es gehört nun mal zum Leben dazu - so hart das auch ist. Wenn jemand schwer krank ist, macht das Angst. Vielleicht auch wütend. Sprecht mit Euren Kindern darüber. Benennt eure Gefühle - je kleiner die Kinder sind, desto deutlicher und einfacher. "Ich bin traurig, weil die Oma tot ist. Weil ich sie nicht mehr sehen werde und sie nie mehr in den Arm nehmen kann." "Ich habe Angst, was bei Mamas Untersuchung morgen rauskommt."
  2. Nennt die Dinge beim Namen.
    Wenn Tante Inge Krebs hat, hat sie Krebs. Sie ist nicht einfach nur "krank". "Krank" ist man auch, wenn man einen Schnupfen hat, daran wird man aber im Regelfall nicht sterben. An Krebs kann man sterben, muss man aber nicht zwangsläufig. All das können Kinder - egal welchen Alters, ob 2 oder 15 - begreifen.
    Jemand, der gestorben ist, ist nicht "entschlafen" oder "eingeschlafen" - er ist "gestorben" und "tot". Der Gebrauch dieser Wörter klingt hart, hilft aber zu Verstehen, was ist.
    Ich für meinen Teil will nicht, dass meine Kinder in Panik ausbrechen, wenn sie hören, dass jemand "krank" ist. Ich will auch nicht, dass sie sich nicht mehr trauen, nachts einzuschlafen, aus Angst am nächsten Morgen nicht mehr aufzuwachen. Die deutsche Sprache (wie alle anderen mir bekannten Sprachen auch) hat unter anderem aus diesem Grund verschiedene Begriffe für verschiedene Dinge und Zustände hervorgebracht, lasst sie uns auch nutzen.
  3. Unterschätzt die Kleinen nicht.
    Gerade die Zwerge zwischen 1 Jahr und 6 Jahren werden oft deutlich unterschätzt. Besonders die ganz Kleinen erreicht man nicht so gut über ein Gespräch - aber es gibt zu fast allen schwierigen Themen auch tolle Bücher. Und die Sprache der Bilder kommt bei den meisten Kindern an.
    Auf der Kinderbuch-Couch kann man Bücher nach verschiedenen Themen und nach Alter suchen. Egal ob es um Tod und Trauer oder um Krankheiten wie Alkoholismus, Depression oder Krebs geht - hier findet man mit Sicherheit etwas.
    Alternativ verarbeiten Kinder auch vieles im Spiel. Sollte es also in der Familie einen Todesfall gegeben haben, wundert euch nicht, wenn danach im Kindergarten, im Sandkasten oder auf dem Pausehof reihenweise Menschen sterben oder Beerdigungen stattfinden. Bitte unterbindet oder verbietet das nicht. Es ist ein wichtiger Verarbeitungsschritt für die Kinder und nichts, für was man sich schämen müsste.
  4. Seid authentisch
    Man muss nicht immer stark sein. Wenn es einem zum Heulen zu mute ist, dann darf man auch einfach mal weinen. Auch wenn Kinder dabei sind. Kinder verstehen das.
    Andererseits muss man auch in schwierigen Situationen nicht immer im Problem wühlen oder auch nach einem Trauerfall nicht ständig trauern - das Leben geht weiter und hält trotz allem schöne Dinge für uns alle bereit. Man muss sich nur das Recht nehmen, diese auch zu sehen.
  5. Vermeidet es, Themen zu tabuisieren
    Mir fällt spontan kein einziges Thema ein, über das man überhaupt nicht mit Kindern sprechen kann. Nicht immer sind alle Details wichtig und man sollte grundsätzlich natürlich überlegen, was die Kinder etwas angeht und was nicht - aber ein Thema, über das man nicht sprechen kann - nein, fällt mir keines ein.
    Überlegt Euch, was und wie viel Euer Kind wissen soll/muss und was einfach nicht Sache des Kindes ist.
  6. Achtet auf das Kind - es wird Euch seine Grenzen zeigen
    Als die Großmutter meines Mannes starb und sie in die Aussegnungshalle hier am Ort überführt wurde, wurde für die Angehörigen der Sarg nochmal geöffnet. Ich habe damals selbstverständlich meine Kinder (damals 3 und 1) mitgenommen. Sie sollten sehen, dass der Tod nichts Furchtbares ist und sie sollten auch erleben, dass der Mensch in dem Sarg zwar aussieht, wie die Omama - aber eben nicht mehr die Omama ist.
    Hätte eines meiner Kinder auch nur ansatzweise gezeigt, dass es nicht mit hineinwill, dass es die Omama nicht sehen will oder ähnliches, hätte keiner gemusst, wäre ich selbstverständlich wieder gegangen. Haben aber beide nicht. Statt dessen haben wir danach einige Zeit immer wieder Fragen zum Thema Tod und Sterben und was passiert, wenn man tot ist beantwortet, haben gemeinsam ein bisschen philosophiert, gemeinsam geweint und auch gemeinsam gelacht - und dabei nach und nach den Tod unserer Omama verarbeitet.
    Wenn wir genau auf unsere Kinder achten, wenn wir sowohl auf Fragen als auch auf Zeichen der Abwehr eingehen, können wir sie kaum überfordern.
  7. Lernt von euren Kindern
    Wir können - gerade in schweren Zeiten - viel von unseren Kindern lernen. Z. B., dass man auch wenn man so traurig ist, dass es weh tut, trotzdem noch lachen und spielen kann. Dass man traurig und glücklich gleichzeitig sein kann. Dass es Situationen gibt, in denen man nichts sagen und sich nur in den Arm nehmen muss - und das trotzdem schon ein ganzes Stück Schmerz heilt.
  8. Versucht den Kindern die Angst zu nehmen
    Trotz aller Ehrlichkeit und allem Heranführen an die Unbillen des Lebens - versucht, den Kindern die Angst zu nehmen.
    Ja, an Krebs kann man sterben - muss man aber nicht. Und Sterben gehört zum Leben dazu. Jeder wird sterben und keiner weiß (zum Glück) so genau, wann. Ich kann meinen Kindern nicht versprechen, dass ich nicht sterben werde. Ich kann ihnen nur versprechen, dass die Ärzte und ich alles versuchen werden, damit ich noch ganz schön alt werde (ihr erinnert euch: mein Ziel ist mind. 85)
    Nicht jeder, der ins Krankenhaus muss ist sterbenskrank. Nicht jeder der alt ist springt morgen über die Klinge.... Versucht den Schrecken zu relativieren. Haltet die Fragen aus und versucht, altersgemäß und ehrlich zu antworten. Und gebt auch zu, wenn ihr keine Ahnung habt.
    "Mama, was ist, wenn man stirbt?" - Hm - keine Ahnung. Ich war noch nie tot (glaube ich). Aber man kann sich viel vorstellen. Vielleicht geht die Seele zu Gott, vielleicht ins Paradies, vielleicht gibt es irgendwo eine Welt für alle Seelen, vielleicht wird sie ein Stern oder ein Windhauch oder sie kommt durch Wiedergeburt wieder auf die Welt. Hier darf jeder glauben, was er will und wahrscheinlich wird nie jemand wieder kommen und uns alle der Lüge zeihen... 
  9. Teilhaben lassen
    Wann immer es geht - lasst eure Kinder mitmachen. Ich habe mir z. B. meine Haare von den Kindern abrasieren lassen, als sie begannen, auszufallen. Ein paar von euch wissen vielleicht noch, dass ich den absoluten Horror vor dem Haarausfall hatte - wir haben es gemeinsam durchgestanden und es war überhaupt nicht schlimm. Im Gegenteil, wir hatten viel Spaß.Wer nachlesen will, hier ist der Post.
    Bei einer Beerdigung können die Kinder vielleicht mithelfen, die Lieder auszusuchen. Oder evtl. selbst eines singen/spielen (wenn sie das wollen). Oder warum sollte auf ein Sterbebildchen nicht mal die letzte Porträtzeichnung von der Oma, die das Enkelchen gemalt hat?
    Egal, was es ist - bezieht die Kinder so viel wie möglich mit ein. Das Schlimmste (und das hat jeder von uns schon erlebt) sind Situationen, in denen man nichts TUN kann, sondern einfach abwarten muss. 
  10. Wenn ihr nicht mehr weiterwisst: Nutzt professionelle Hilfe
    Manchmal sind Situationen tatsächlich so schlimm oder so überraschend, dass man vor Entsetzen sprachlos ist, dass man mit der Gesamtsituation überfordert ist oder dass sie einen selbst völlig aus der Bahn werfen - und man somit den Kindern kein stabiler Ankerpunkt sein kann. Für solche Fälle gibt es Fachleute, die einem helfen können. Egal ob das Beratungsstellen, Familienhelfer, Seelsorger, Selbsthilfegruppen oder Psychologen sind. Es gibt eine Vielzahl an Unterstützungsmöglichkeiten für alle möglichen Lebenssituationen. Wenn man das Gefühl hat, sich selbst und/oder die Kinder nicht gut durch die anstehenden Stromschnellen im Fluss des Lebens schiffen zu können - dann sollte man den Mut haben, sich Hilfe zu holen. Dafür gibt es diese Menschen. Nutzt sie.

Mir würde zu diesem Thema noch soooo viel einfallen - aber wenn der Post noch länger wird, liest ihn gar niemand mehr.
Abschließend bleibt mir nur, euch allen den Mut zu wünschen, mit schwierigen Situationen in eurem Leben umzugehen und das auch euren Kindern zu vermitteln - und trotzdem auch die schönen, lustigen und wunderbaren Dinge im Leben noch zu sehen.

2 Kommentare:

  1. Wow,ich bin echt platt.
    Soviel Wahrheit in einem einzigen Post.Hoffentlich lesen deine Worte viele viele Eltern,denn dann wird es den meisten Kindern wirklich um einiges leichter fallen unsere Erwachsenenwelt zu verstehen

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  2. ...und nun bin ich nochmal platt,ich kann wieder kommentieren:-)))))Juuuuhuuuu

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